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Bericht des Reichsjustizministeriums über das Auftreten und die Bekämpfung „jugendlicher Cliquen und Banden” (Anfang 1944)

Die Monopolstellung und der Zwangscharakter der Hitler-Jugend nach 1933 sollten die nationalsozialistische Erziehung und Anpassung aller Kinder und Jugendlichen im Reich gewährleisten. Dennoch formierten sich einige oppositionelle Jugendgruppen, deren Mitglieder sich gegen die erzwungene Vereinnahmung durch die HJ und besonders ihren militärischen Drill auflehnten. Zu den bekanntesten dieser Gruppen zählten die im folgenden Text erwähnten „Edelweißpiraten“ und die „Swing-Jugend“, beides unpolitische Gruppierungen, denen es hauptsächlich um die Behauptung ihres Individualismus ging, die jedoch wegen ihrer Verweigerung gegenüber der HJ bald der Verfolgung durch die Gestapo ausgesetzt waren. Der folgende Bericht des Reichsjustizministeriums aus dem Jahr 1944 veranschaulicht, wie das NS-Regime jegliches abweichende Verhalten als untragbar und potentiell umstürzlerisch betrachtete.

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Die Gefährdung und Kriminalität der Jugend findet ihren besonderen Ausdruck in der Bildung jugendlicher Cliquen und Banden. Namentlich seit Kriegsbeginn, vor allem aber nach Einsatz der Terrorangriffe mehren sich die Meldungen über Vereinigungen Jugendlicher, die teils kriminelle, teils aber auch politische oder weltanschauliche Tendenzen verfolgen:

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In Gelsenkirchen war eine Bande von etwa 50 Jugendlichen bei Diebes- und Raubfahrten am Werke. Sie nannten sich »Edelweißpiraten«, hatten allabendlich ihre Zusammenkünfte und standen in Opposition zur HJ. Gleiche Beobachtungen wurden u.a. in Essen, Bochum und Wattenscheid gemacht. In Köln sind die Edelweißpiraten ebenfalls bekannt geworden. Sie trieben Propagandaaktion für die bündische Jugend und druckten Flugblätter.

Düsseldorf weiß von Edelweißpiraten zu berichten, die neben harmlosen Klingelpartien Straßenpassanten verprügelten. In einigen Fällen schmierten sie anderen Volksgenossen menschlichen Kot ins Gesicht. Die Überfälle auf HJ-Angehörige steigerten sich besonders.

Gleiche Verhältnisse zeigten sich z.B. in Leipzig. Dort bildete eine große Anzahl von Jugendlichen einen parteiähnlichen Zusammenschluß, um sich gegen die staatliche Jugenderziehung aufzulehnen und Angehörige der HJ zu mißhandeln.

In Wismar/Meckl. gründeten Jugendliche die Ringbande mit gleicher Zielsetzung. Sie beabsichtigten darüber hinaus Störung der Ruhe und Ordnung im Staat und waren bereit, bewaffnet gegen die Polizei vorzugehen. Im Falle der Revolution beabsichtigten sie, den HJ-Streifendienst und die HJ-Führerschaft an Bäumen aufzuhängen. Ihre Einstellung war bewußt antideutsch.

In Düsseldorf druckte die Bande »Club der goldenen Horde« Plakate mit der Aufschrift: »Nieder mit Hitler – wir wollen die Freiheit«.

In Duisburg fielen die Edelweißpiraten oder Kittelsbachpiraten auf, die in Opposition zur HJ standen.

Schließlich liegen viele Berichte von illegalen Jugendvereinigungen vor, die im wesentlichen liberal mit deutlicher Blickrichtung zur »lässig-englischen« Lebensführung eingestellt sind. Hauptvertreten sind die sog. Swing-Cliquen, die namentlich in Hamburg besonders beobachtet werden konnten, aber auch in anderen Teilen des Reiches, so z.B. in Dresden und Wien, auftreten.

Dieser Ausschnitt allein genügt, um zu erkennen, daß wir drei verschiedene Arten von Cliquen und Banden vor uns haben.

a) Die politisch-oppositionellen Cliquen,
b) die liberalistisch-individualistischen Cliquen,
c) die kriminell-asozialen Banden.

Die Entwicklung zeigt deutlich, daß sie zunächst in Großstädten auftraten, sich aber dann auch aufs Land (annehmbar durch Evakuierungsmaßnahmen) verlagert haben.

Um eine wirksame Bekämpfung dieses Unwesens zu gewährleisten, ist zunächst die Untersuchung darüber erforderlich, wie es zu diesen Cliquen und Banden gekommen ist, nach welchen Eigengesetzen sie leben und ob und welche Gefahren sie für den Staat und die Jugenderziehung bilden.

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