I. Leipzig, den 8. Mai 1884
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Ich mache mir ganz dieselben Gedanken wie Sie über die heutige Lage des Antisemitismus. Ich suche auch rastlos nach dem Hebelpunkt, an dem die Judenwelt aus den Angeln zu werfen wäre. Solange wir als Bettler kommen, gewinnen wir die Liebe des Volkes nicht. Die Liebe will den Geliebten stolz, wie einen König, nicht wie einen kriechenden Bettler sehen. Die Macht und der Erfolg sind das Ausschlaggebende für die Sympathie der Masse und solange Macht und Erfolg auf Seiten der Juden sich, neigen sich ihnen auch die Herzen der Menge zu. Sie kennen ja die Redensart: „Die Juden machen es klug, die kommen zu etwas; so muß man’s auch machen.“ Die Juden sind heute für die Mehrzahl der Menschen das beneidenswerthe Muster. Wenn der Antisemitismus erst einmal einen wirklich großen durchschlagenden Erfolg d. h. ein positives – möglichst ein klingendes Resultat zu verzeichnen hat, wird auch alle Welt – aus bester Ueberzeugung! – antisemitisch werden. –
[ . . . ] „Profit“ muß sein! – sonst beist keiner am Antisemitismus an. (Liefern doch die meisten heutigen Vordergefechtsantisemiten selbst den Beweis dafür; sie würden nicht halb so lärmen, wenn sie nicht dabei verdienen wollten; – sie sind „Geschäfts-Antisemiten“. –
Nun aber, lieber Herr Marr, kommt das große Problem: Zu verschenken haben wir nichts; wie können wir allen geben, ohne Jemandem zu nehmen? Wenn Sie das erfinden, so ist die Judenfrage gelöst, eher nicht. – Und, bei Gott, ich glaube „Heureka!“ rufen zu dürfen. Ich trage mich seit längerer Zeit mit einem Plane – nebenbeigesagt von großer Einfachheit – von dem ich mir das Erhoffte verspreche. Die Quintessenz der Sache ist natürlich: die Isolierung der Juden aber nicht durch platonische Principien, sondern durch practische Thatsachen.
Ich will Ihnen vor der Hand nichts davon verrathen, denn – ich bin etwas abergläubisch! – Mir scheint es immer, als ob man die Kraft zur That einbüße, wenn man eine Idee in Worten ausgiebt.
Im Uebrigen gehöre ich in Judensachen zu den „Radikalissimi“. Ich betrachte es als kein Unglück, wenn man „mit roher Volksgewalt“ den „Blutegeln Salz auf den Schwanz“ streut. Ich habe aber nichts dagegen, daß man in der Presse über solche Vorkommnisse einiges Bedauern – heuchelt [sic]. Es giebt Rücksichten, weil es Missverständnisse giebt.