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SD-Bericht über die Einstellung der Jugend zur NSDAP (12. August 1943)

Das nationalsozialistische Vordringen in fast alle Lebensbereiche der deutschen Jugend, dem sich insbesondere die Hitler-Jugend verschrieben hatte, erstrebte die Erschaffung neuer, geistig und körperlich gehärteter und politisch absolut zuverlässiger Generationen. In Wirklichkeit unterstrich die Indoktrination der Jugend oft nur den Zwangscharakter des Regimes und verursachte somit zunehmenden Unmut, Desillusionierung und Zynismus unter einigen Jugendlichen, wie aus dem folgenden Stimmungsbericht des Sicherheitsdienstes (SD) vom 12. August 1943 hervorgeht.

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Einstellung der Jugend zur Partei

I. Die Einstellung der Jugend zur Partei zeigt sich alljährlich besonders deutlich bei den Aufnahmefeiern. Die hier vorliegenden Meldungen über die Parteiaufnahme der Jahrgänge 1924 und 1925 berichten im allgemeinen von einer positiven Einstellung der Jugendlichen zur Aufnahme in die Partei:

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Aus fast allen Reichsgebieten liegen aber auch Berichte vor, nach denen bei einer nicht geringen Anzahl Jugendlicher die Einstellung zur Parteiaufnahme zu wünschen übrig läßt. Im einzelnen werden hierzu folgende Beobachtungen gemacht:

1. Gleichgültigkeit und mangelnde innere Bereitschaft

Von zahlreichen Jugendlichen sei die Aufnahme in die Partei durchaus nicht als ein besonders erstrebenswertes Ziel, sondern als eben „zum guten Ton" gehörend, ja als „notwendiges Übel" angesehen worden.

«Vielfach wurde von den Jugendlichen die Ansicht vertreten, daß die Parteizugehörigkeit eben zum guten Ton gehöre und darüber hinaus ein gutes Sprungbrett in beruflicher Hinsicht sei.»

[ . . . ] «Die Jugendlichen, bei deren Beruf eine Abhängigkeit nicht vorliegt, legen auf ihre Überführung in die NSDAP kaum Wert.» «Bei den Jugendlichen ist eine ziemlich gleichgültige Einstellung der Partei gegenüber zu beobachten. Nur der kleinste Teil habe in der Parteiaufnahme eine Auszeichnung gesehen. Der weitaus größte Teil sehe vielmehr in der Zugehörigkeit zur Partei eine Notwendigkeit, der man sich eben fügt. So äußerte ein junger Parteigenosse: „Will man was erreichen im Leben, so muß man doch Pg. sein, andernfalls ist man doch nicht hundertprozentig!"»

«Vielfach glauben die Jugendlichen, sie müßten nun in jedem Fall zu den Erwachsenen gezählt werden. Die Äußerungen eines 18-jährigen, „ein Parteigenosse muß zu allem zugelassen werden und muß auch über alles urteilen dürfen“ entspreche der Einstellung vieler Jugendlicher. Vereinzelt sei die Übernahme in die Partei von Jugendlichen im Hinblick darauf begrüßt worden, daß sie „nun endlich vom HJ-Dienst loskämen“, sie hofften, in der Partei nicht so zur Mitarbeit herangezogen zu werden.» [ . . . ]

«Charakteristischer Ausspruch von Jugendlichen: „Mir ist es ganz egal, ob ich in die Partei aufgenommen werde oder nicht, es ist ja doch alles Krampf."»

In zahlreichen Berichten wird auch darauf hingewiesen, daß dem geringen Interesse an der Partei ein wesentlich stärkeres Interesse an der Wehrmacht gegenüberstünde.

«Die meisten Jungen und Mädel haben gar kein Interesse daran, Mitglied der NSDAP zu werden. Alle Aufrüttelungsversuche der zuständigen Stellen sind vergeblich gewesen. Für die Jungen ist die Wehrmacht heute Trumpf und nicht die Partei.»

«Man führt dort gleichzeitig als Beispiel den Vergleich an, daß heute viele Jungen Offiziere werden wollen, weil der Offizier ein die Jugend ansprechendes Vorbild, ein erstrebenswertes Ziel ist. Die Aufgaben, die der Blockleiter und der Ortsgruppenleiter in ihren Bereichen zu leisten haben, üben auf die Jugendlichen wenig Reiz aus; ersichtlich stachele sie nichts an, hier „dabei sein zu wollen“, wie etwa ein Junge bei einem besonders ausgezeichneten Truppenteil oder auch bei einer erfolgreichen Fußballmannschaft „dabei sein wolle“.»

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