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Bericht von George Messersmith an das State Department [US-Außenministerium] zum gegenwärtigen Stand der antisemitischen Bewegung in Deutschland (21. September 1933)

In seinem ersten Amtsjahr als Reichskanzler verfolgte Hitler die Ausschaltung der politischen Opposition, die Festigung seiner eigenen Macht sowie die Stärkung der militärischen Stellung Deutschlands. Um das Ansehen seines Regimes in Deutschland und im Ausland zu wahren, lag es in seinem Interesse, die radikalsten Elemente seiner Ideologie und Politik zu verschleiern. Einer der nüchternsten und scharfsinnigsten Beobachter des sich entfaltenden NS-Regimes war der damalige amerikanische Generalkonsul in Berlin, George S. Messersmith. In diesem Bericht für das State Department beschreibt er die ideologischen Grundlagen – und die zunehmend Besorgnis erregenden praktischen Erscheinungsformen – der Judenpolitik des NS-Regimes. Dabei zitiert er ausführlich aus zeitgenössischen Zeitungsberichten und Reden von Hitlers Spitzenbeamten*. Messersmith kommentiert die „erstaunliche Unehrlichkeit“ hochrangiger Mitglieder der Hitler-Regierung und mahnt den Außenminister, deutschen Regierungsberichten keinen Glauben zu schenken.

Aufbauend auf seine vorangegangenen Memoranden vom 23. Mai und 17. Juni 1933 beobachtet Messersmith, dass die Situation der Juden in Deutschland in der Zwischenzeit kontinuierlich schlechter geworden ist und führt die weitreichenden Entlassungen von Juden aus ihren Posten als Anwälte, Ärzte und Universitätsprofessoren als nur ein Beispiel an. Er sieht außerdem keine absehbare Verbesserung ihrer Situation, sondern listet im Gegenteil eine Zahl neuer diskriminierender Maßnahmen auf, die bald Anwendung finden würden: die Einrichtung von „Rasseämtern“, die Verabschiedung eines Gesetzes zum Eheverbot zwischen Deutschen und Juden und der Beginn von Bemühungen, diese zu entrechten. Messersmiths Memorandum enthält eine Anzahl von erschreckend voraussehenden Beobachtungen. Er täuschte sich jedoch offensichtlich in seiner Voraussage, dass die schlimmste Phase der physischen Verfolgung der Juden bereits vorüber sei.

*Bei den zitierten Passagen handelt es sich um Übersetzungen des englischen Texts Messersmiths.

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Amerikanisches Generalkonsulat
Berlin, Deutschland, 21. September 1933

Thema: Der gegenwärtige Stand der antisemitischen Bewegung in Deutschland.

An den
Außenminister der Vereinigten Staaten
Washington

Sir:

Ich habe die Ehre, mich auf meinen vertraulichen Bericht Nr. 1330 vom 23. Mai über den damaligen Stand der antisemitischen Bewegung in Deutschland sowie auf meinen vertraulichen Bericht Nr. 1369 vom 17. Juni zu beziehen, in denen ich den damaligen sozialen, ökonomischen und politischen Status der Juden in Deutschland zusammenfasste. In meinem gegenwärtigen Bericht werde ich versuchen, dem State Department eine Zusammenfassung der Entwicklungen seit meinem letzten Schreiben vorzulegen.

Dr. Achim Gercke ist der „Sachverständige für Rasseforschung“ im Reichsministerium des Innern. In der Anlage übersende ich Ihnen die Übersetzung eines von Dr. Gercke ausgearbeiteten Memorandums über die Grundprinzipien zur „Mischlingsfrage“, das im Zusammenhang mit der Lage der Juden in Deutschland von vorrangigem Interesse ist. Dieses Memorandum war nicht zur Veröffentlichung bestimmt und ging mir über eine vertrauliche Quelle zu. Es verdient die Aufmerksamkeit des State Departments, da praktisch alle die Juden in Deutschland betreffenden Gesetze und Erlässe über Dr. Gercke als Rasseexperten des Reichsinnenministeriums passieren, und weil dieses Memorandum besonders interessant ist, da es die Einstellung des Dr. Gercke zu grundlegenden Aspekten des Problems offenbart. Ich zitiere in der Folge nur einige der relevanten Aussagen des Memorandums:

„Arisch ist nicht, wer weniger als einen Großelternteil jüdische Vorfahren hat; arisch ist, wer überhaupt keine jüdischen Vorfahren hat. [ . . . ] Die Juden- und besonders die Mischlingsfrage muss auf gesellschaftlichem Gebiet gelöst werden. Es muss wieder Sitte werden, dass die Menschen deutschen Blutes nur artgemäße Ehe schließen können. [ . . . ] Zum Grundsätzlichen: Allen Erbgesetzen würde es widersprechen, wollte man unbedenklich jüdische Beimischung in zweiter, dritter oder vierter zurückliegender Geschlechterfolge als nicht vorhanden oder ohne Bedeutung ansehen. Die Erfahrung sagt vielmehr, dass keine Zahl von Geschlechterfolgen angegeben werden kann, die notwendig ist, um den Einfluss der stattgehabten Mischung ausgeschaltet zu wissen“.

In der Anlage finden Sie auch eine Übersetzung eines Artikels von Dr. Gercke, der in der Juniausgabe* der „Nationalsozialistischen Monatshefte“ erschien. Zur Veranschaulichung der Grundeinstellung des Mannes, der als Sachverständiger für die Rasseforschung beim Reichsminister des Innern agiert, ist auch dieser Artikel von besonderem Interesse. Im Folgenden fasse ich bezeichnende Zitate aus diesem Artikel zusammen:


* Es handelte sich tatsächlich um die Maiausgabe des Jahres 1933, Heft 38 – Hg.

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