GHDI logo


Fernschreiben der Verschwörergruppe Stauffenberg an die Inhaber der vollziehenden Gewalt (20. Juli 1944)

Wahrscheinlich die bekannteste und umfangreichste Verschwörung gegen das NS-Regime wurde von Claus Graf Schenk von Stauffenberg (1907-1944) geleitet, der am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Hitler verübte und den anschließenden, gescheiterten Staatsstreich lenkte. Während Stauffenberg anfangs die militärischen Ziele der Nationalsozialisten unterstützte, teilte er die zunehmende Entfremdung einiger hoher Wehrmachtsangehöriger, als in den späten dreißiger Jahren die Aggressivität Hitlers sowie die Methoden seiner Kriegführung offensichtlich wurden. Da Gestapo und der Sicherheitsdienst (SD) der SS nur bedingt in die Wehrmacht eindringen konnten, war sie die einzige Organisation, die über die Machtmittel für einen potentiell erfolgreichen Staatsstreich verfügte. Trotzdem scheiterten frühe Attentats- und Sabotageversuche, die aus einzelnen Widerstandsgruppen der Wehrmacht hervorgingen. Erst die offensichtlich drohende Niederlage Deutschlands scheint viele der Mitverschwörer, die sich auch aus den Reihen der Polizei und Staatsverwaltung rekrutierten, zum aktiven Widerstand bewegt zu haben.

Am Donnerstag, dem 20. Juli 1944, flog Stauffenberg in seiner Position als Stabschef beim Befehlshaber des Ersatzheeres (BdE) zu einer Lagebesprechung im ostpreußischen Führerhauptquartier Image

„Wolfsschanze”, wo er eine Sprengstoffladung zündete, die Hitler jedoch nur leicht verletzte. Während Stauffenberg in dem Glauben an ein erfolgreiches Attentat nach Berlin zurückkehrte, sollte unter dem sogenannten „Walküreplan“ der Staatsstreich vollendet werden, indem das Militär die vollziehende Gewalt an sich nahm und die wichtigsten regierungsfreundlichen Machtinstanzen wie Partei, Gestapo, SS und SD ausschaltete.

Wie die folgende Verlautbarung Stauffenbergs zeigt, hofften die Verschwörer, die Ermordung Hitlers einer fiktiven Clique von Parteifunktionären anzuhängen, um somit die Machtübernahme durch das Ersatzheer zu begründen. Angesichts der fehlenden offiziellen Nachricht über Hitlers Tod liefen die entscheidenden Folgeaktionen nur zögerlich und unregelmäßig an, und die Verschwörung wurde schnell von Regimeanhängern zerschlagen. Stauffenberg wurde noch in derselben Nacht erschossen. Im Rahmen der umfassenden Ermittlung der Gestapo, die bis zum Kriegsende andauerte, wurden etwa 1.500 Personen inhaftiert und 200 getötet.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      Beginn des nächsten Kapitels

Seite 1 von 1


Der Führer Adolf Hitler ist tot!

I. Eine gewissenlose Clique frontfremder Parteiführer hat es unter Ausnutzung dieser Lage versucht, der schwerringenden Front in den Rücken zu fallen und die Macht zu eigennützigen Zwecken an sich zu reißen.

II. In dieser Stunde höchster Gefahr hat die Reichsregierung zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung den militärischen Ausnahmezustand verhängt und mir zugleich mit dem Oberbefehl über die Wehrmacht die vollziehende Gewalt übertragen.

III. Hierzu befehle ich:

1. Ich übertrage die vollziehende Gewalt — mit dem Recht der Delegation auf die territorialen Befehlshaber — in dem Heimatkriegsgebiet auf den Befehlshaber des Ersatzheeres unter gleichzeitiger Ernennung zum Oberbefehlshaber im Heimatkriegsgebiet [ . . . ].

2. Den Inhabern der vollziehenden Gewalt sind unterstellt:
a) sämtliche in ihrem Befehlsbereich befindlichen Dienststellen und Einheiten der Wehrmacht einschl. der Waffen-SS, des RAD und der OT.
b) Alle öffentlichen Behörden (des Reichs, der Länder und der Gemeinden), insbesondere die gesamte Ordnungs-, Sicherheits- und Verwaltungspolizei,
c) alle Amtsträger und Gliederungen der NSDAP und der ihr angeschlossenen Verbände,
d) die Verkehrs- und Versorgungsbetriebe.

3. Die gesamte Waffen-SS ist mit sofortiger Wirkung in das Heer eingegliedert.

4. Die Inhaber der vollziehenden Gewalt sind für Aufrechterhaltung der Ordnung und öffentlichen Sicherheit verantwortlich. Sie haben insbesondere zu sorgen für:
a) die Sicherung der Nachrichtenanlagen
b) die Ausschaltung des SD.

Jeder Widerstand gegen die militärische Vollzugsgewalt ist rücksichtslos zu brechen.

5. In dieser Stunde höchster Gefahr für das Vaterland ist Geschlossenheit der Wehrmacht und Aufrechterhaltung voller Disziplin oberstes Gebot.

Ich mache es daher allen Befehlshabern des Heeres, der Kriegsmarine und der Luftwaffe zur Pflicht, die Inhaber der vollziehenden Gewalt bei Durchführung ihrer schwierigen Aufgabe mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu unterstützen und die Befolgung ihrer Weisungen durch die untergeordneten Dienststellen sicherzustellen. Der deutsche Soldat steht vor einer geschichtlichen Aufgabe. Von seiner Tatkraft und Haltung wird es abhängen, ob Deutschland gerettet wird.

Gleiches haben alle territorialen Befehlshaber, die Oberkommandos der Wehrmachtteile und die den Oberkommandos unmittelbar unterstehenden Kommandobehörden des Heeres, der Kriegsmarine und der Luftwaffe.

Der Oberbefehlshaber der Wehrmacht
gez. v. Witzleben
Generalfeldmarschall



Quelle: Fernschreiben der Verschwörergruppe Stauffenberg an die Inhaber der vollziehenden Gewalt (20. Juli 1944); abgedruckt in Hans-Adolf Jacobsen, Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich von 20. Juli 1944. Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitsamt. Stuttgart: Seewald Verlag, 1984, Bd. 1, S. 24-25.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite