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Proteste von Dissidenten beim Gedenkmarsch der SED für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht (18. Januar 1988)

Als Regimekritiker versuchten, den jährlichen Gedenkmarsch für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zum Anlass zu nehmen, mehr Menschenrechte in der DDR zu fordern und deren bekannten Satz „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden” zitierten, wurden sie von der Stasi schikaniert.

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„Brüüüder, zur Sohonne, zur Freihhheit …“

Scheppernde Lautsprecher beschallen die Route der „Kampfdemonstration“ für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durch Ost-Berlin. Der heftige, stetige Marschtakt der Musik vermag nicht, die Schritte der „Werktätigen“ auf ihrem Weg zur Gedenkstätte nach Friedrichshain zu synchronisieren. Die Kälte ist wohl schuld, die Wasserlachen auf der Frankfurter Allee, der Nieselregen.

Weit hinten, am Frankfurter Tor, ist von Sonne und Freiheit nicht mehr viel zu hören, aber zu lesen: „Freiheit ist stets die Freiheit des Andersdenkenden“. Vor dem HO-Kaufhaus für Sport und Freizeit wird aus einer Gruppe von jungen Leuten der Friedens- und Menschenrechtsbewegung ein selbstgemaltes Transparent mit diesem Luxemburg-Zitat hochgehalten, doch nur für wenige Sekunden. Zwei Dutzend Männer mittleren Alters in auffällig unauffälliger DDR-Kluft stürzen sich auf die Träger, reißen das Spruchband herunter, zerren drei oder vier junge Männer aus der Gruppe, ziehen sie an den Armen hinter sich her zu einem unweit abgestellten Polizeiwagen.

Gleichzeitig stellen sich andere zivile Sicherheitskräfte mit ausladenden Transparenten vor die Kameras anwesender westlicher Fernsehteams. Nur wenige Male sind Rufe der Fortgeschleppten zu hören: „Freiheit!“ Aus der protestierenden Gruppe ruft jemand „Seht doch, so geht dieser Staat mit seinen Bürgern um“.

Aber es gibt keinen Widerhall in der Menge, keine Reaktion. Selbst als bei einem weiteren rabiaten Stasi-Einsatz die beiden kleinen Kinder in der protestierenden Gruppe vor Angst zu schreien beginnen, erneut jemand festgenommen wird, passiert bei den Umstehenden nichts. Als wäre nichts geschehen.

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