Kurt Hager beantwortete Fragen der Illustrierten »Stern«
Frage: Die SED-Führung unterstützt die von Michail Gorbatschow eingeleiteten Reformen in der Sowjetunion. Zugleich betont die DDR ihre Eigenständigkeit. Sind die Zeiten vorbei, in denen das Land Lenins für deutsche Kommunisten vorbildlich war?
Antwort: Die DDR und die Sowjetunion sind Verbündete. Sie haben einen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand abgeschlossen. Zwischen den Völkern beider Staaten besteht eine feste, unzerstörbare Freundschaft, die in direkten Beziehungen von Betrieben, Hochschulen und anderen Einrichtungen sowie zahllosen persönlichen Begegnungen ihren Ausdruck findet. SED und KPdSU sind Bruderparteien und tauschen regelmäßig ihre Erfahrungen aus, um voneinander zu lernen. So war es, so ist es, und so wird es auch in Zukunft sein.
Frage: Es gilt also nicht mehr die Parole: »Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen?«
Antwort: Ich erinnere daran, daß der Generalsekretär des ZK der KPdSU, Michail Gorbatschow, auf dem XI. Parteitag der SED im April 1986 sagte: »Sie wissen, daß unsere Partei und unser Volk in all den Jahren seit dem Kriege an Ihrer Seite standen, stets bereit, dem jungen Staat der Werktätigen zu helfen. Wir waren treue Freunde und Verbündete der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der Deutschen Demokratischen Republik, und wir bleiben es für alle Zeiten.«
Sie können also davon ausgehen, daß es vergebliche Mühe wäre, einen Keil zwischen die DDR und die Sowjetunion zu treiben oder Differenzen zwischen der SED und der KPdSU zu konstruieren.
Frage: »Perestroika«, Umgestaltung also auch in der DDR?
Antwort: Bekanntlich hat der XXVII. Parteitag der KPdSU im Interesse der weiteren Stärkung des Sozialismus wichtige Beschlüsse zur Beschleunigung der sozialökonomischen Entwicklung der Sowjetunion gefaßt. Bereits in seiner Grußansprache an den XXVII. Parteitag betonte der Generalsekretär des ZK der SED, Erich Honecker, daß die Verwirklichung dieses Aktionsprogramms für das Wohl des Sowjetvolkes von grundlegender Bedeutung und zugleich von entscheidendem internationalem Gewicht ist.
Auch bei zahlreichen anderen Gelegenheiten haben wir gegenüber dem Sowjetvolk und seiner kommunistischen Partei unsere Überzeugung geäußert, daß die vom XXVII. Parteitag eingeleitete Umgestaltung, die Überwindung ungünstiger Tendenzen und Schwierigkeiten, die in den 70er Jahren und Anfang der 80er Jahre aufgetreten waren, von Erfolg gekrönt sein wird, geht es doch darum, das gewaltige materielle und geistige Potential der Sowjetunion voll zur Entfaltung zu bringen und damit den Sozialismus weiter zu vervollkommnen und zu stärken.