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Dokumente - Im Namen des Friedens

Die überall sichtbaren Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und die Erfahrung der Teilung Deutschlands und Europas machten die Erhaltung des Friedens für beide deutschen Regierungen zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Politik, doch fielen Rhetorik und Strategie denkbar unterschiedlich aus. In der DDR machte sich die SED-Regierung das Friedensanliegen organisatorisch und propagandistisch zu eigen (Dok. 1). In der Bundesrepublik kristallisierten sich Demonstrationen gegen atomare Aufrüstung und später gegen den Vietnam-Krieg zu einem wichtigen Teil der Protestbewegung der sechziger Jahre. Der neu gewählte Bundespräsident Gustav Heinemann sprach 1969 vom „Frieden als Ernstfall“, den es unter allen Umständen zu bewahren gelte (Dok. 2). Mit dem Abflauen der Studentenbewegung und dem Ende des Vietnam-Krieges war anscheinend auch das Ende der Friedensproteste gekommen (Dok. 3). Dies änderte sich jedoch Anfang der achtziger Jahre grundlegend: in beiden deutschen Staaten erstarkten unabhängige Friedensbewegungen, provozierten die Regierungen und appellierten gemeinsam an die gesamtdeutsche Verantwortung zur Erhaltung und Förderung des Friedens in Europa.

Die Stationierung neuer SS-20-Raketen durch den Warschauer Pakt und der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan Ende 1979 führten zu einer Verschärfung des Wettrüstens und einer Beendigung der Entspannungspolitik zwischen den USA und der Sowjetunion. Unter maßgeblicher Federführung von Bundeskanzler Helmut Schmidt einigten sich die NATO-Außen- und Verteidigungsminister im Dezember 1979 auf den so genannten Doppelbeschluss. Sollten Verhandlungen mit der Sowjetunion über strategische Waffen bis 1983 nicht erfolgreich sein, sah er eine atomare Nachrüstung vor, von der die Bundesrepublik besonders betroffen war, da alle neuen Pershing-II-Raketen und ein Teil der Cruise Missiles hier stationiert, aber unter der Kontrolle der USA bleiben sollten (Dok. 4).

Der Beschluss stellte das nordatlantische Bündnis vor eine harte Bewährungsprobe (Dok. 5) und war in der Bundesrepublik heftig umstritten. Die schnell wachsende Friedensbewegung brachte eine Vielzahl von Gruppen zusammen, mobilisierte Millionen an Unterschriften und Demonstranten, die sich über Ziel, aber nicht immer über Taktik und Methoden einig waren. Als programmatische Basis diente die Krefelder Erklärung, die zwischen 1980 und 1983 von annähernd vier Millionen Bürgern unterzeichnet wurde (Dok. 6). Vorwürfe der Unterwanderung durch kommunistische Gruppen waren wie schon bei den Ostermärschen der sechziger Jahre eine häufige Kritik, von der sich SPD-Mitglieder zu distanzieren versuchten, indem sie einen gesonderten Appell unterzeichneten (Dok. 7). Bundeskanzler Helmut Schmidt sah sich vor allem innerhalb seiner eigenen Partei scharfen Angriffen ausgesetzt. Er verteidigte seine Politik, während sich prominente SPD-Mitglieder wie Erhard Eppler an die Spitze eines Protestmarsches in Bonn stellten, des bisher größten in der Bundesrepublik Deutschland (Dok. 8 und Dok. 9). Kommentatoren versuchten die Stärke der Friedensbewegung historisch zu erklären und ihre Konsequenzen für die Außenpolitik der Bundesrepublik abzuwägen (Dok. 10). Als zusätzlich zu den parteiinternen Spannungen auch Meinungsverschiedenheiten mit dem Koalitionspartner FDP auftraten, bedeutete dies im Herbst 1982 das Ende der sozialliberalen Koalition (Kapitel 13). Die Demonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss gingen weiter, doch auch Gegendemonstrationen, die dessen Bedeutung für die Erhaltung des Friedens betonten, wurden organisiert (Dok. 13). Nach heftigen Diskussionen hob die SPD 1983 ihre vier Jahre vorher gegebene Zustimmung zum NATO-Beschluss auf, der jedoch mit den Stimmen der Regierungsparteien CDU/CSU und FDP im November 1983 vom Bundestag gebilligt wurde. Die Stationierung von Pershing-II Raketen begann unmittelbar danach.

Die von der evangelischen Kirche getragene ostdeutsche Friedensbewegung, die nach der Einführung der sozialistischen Wehrerziehung als Schulpflichtfach bereits Ende der siebziger Jahre an Zulauf gewonnen hatte (Kapitel 5), entwickelte sich Anfang der achtziger Jahre ebenfalls zu einer eigenständigen Kraft. Unter den Schlagworten „Schwerter zu Pflugscharen“ und „Frieden schaffen ohne Waffen“ zog sie das Interesse der Öffentlichkeit in Ost wie West auf sich (Dok. 11). Die kurzfristige Verhaftung eines der Initiatoren des Berliner Appells, Pfarrer Rainer Eppelmann, und seine Freilassung unter der Bedingung, dass sich die Kirchenführung von dem Appell distanziere, führte zu Kontroversen über die Rolle der Kirche in der DDR (Dok. 12). Insgesamt reagierte die SED-Regierung auf die Aktivitäten der Friedensbewegung zunehmend mit Druck und Repressionen (Dok. 15), doch konnte sie weder gemeinsame Friedensinitiativen zwischen ost- und westdeutschen Friedensgruppen (Dok. 14) noch die Entwicklung einer Oppositionsbewegung, die sich aus Friedensrechtlern speiste, verhindern (siehe Kapitel 16). Insgesamt scheiterte die SED in ihrem Versuch, die westdeutsche Friedensbewegung durch eigene Demonstrationen zu unterstützen und die ostdeutsche kirchliche Friedensarbeit in ihrem Sinne zu steuern.

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