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Dokumente - Geschlechterrollen und Familienbeziehungen im Umbruch

Das tradierte konservativ-bürgerliche Modell der Frau als Ehegattin und Mutter wurde von konservativen Kräften verteidigt (Dok. 1), aber von einer neuen Frauengeneration immer mehr in Frage gestellt. Gegen alte Verhaltensmuster anzukämpfen, erwies sich jedoch selbst bei linken Studentengruppen als schwierig (Dok. 3). Die geforderte Reform des Paragraphen 218, der Abtreibung ausnahmslos unter Strafe stellte, kristallisierte sich zum Kern einer neuen Frauenbewegung, die durch Protestaktionen das Thema in die Öffentlichkeit brachte (Dok. 4). Das von der sozialliberalen Koalition eingebrachte Modell einer Fristenlösung, nach der Abtreibungen im ersten Trimester straffrei geblieben wären, war umstritten und wurde von CDU/CSU gemeinsam mit den Kirchen vehement abgelehnt (Dok. 7). Trotz Verabschiedung durch Bundestag und Bundesrat im Frühjahr 1974 trat das Gesetz nie in Kraft und wurde vom Bundesverfassungsgericht im folgenden Jahr für verfassungswidrig erklärt. Der schließlich verabschiedete Kompromiss der Indikatorenlösung, der unter bestimmten Bedingungen Abtreibungen erlaubte, befriedigte weder konservative Kräfte, die die soziale Indikation ablehnten, noch die Frauenbewegung, die einen weiteren Kampf für die Rechte der Frauen ankündigte.

Die Institutionalisierung von Frauenbelangen in Teilen der Bürokratie, die auch durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft befördert wurde, die Öffnung der Hochschulen für neue Studenten und die sexuelle Revolution trugen zu einem Bewusstseinswandel bei, der langsam Status und Rolle der Frauen in Politik, Wirtschaft und Familie entscheidend veränderte. Die rechtliche Gleichstellung von Frauen wurde in den siebziger Jahren durch eine Vielzahl von Reformgesetzen vorangetrieben, die unter anderem das Nichtehelichen-, Ehe- und Ehescheidungsrecht betrafen. So wurde die Regelung gestrichen, nach der Frauen nur dann erwerbstätig sein konnten, wenn dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war; familienrechtlich waren beide Ehegatten nun gleichgestellt (Dok. 5). Auch in der Politik wurden die Stimmen der Frauen hörbarer. Während 1972 nur 5,8 Prozent der Mitglieder des Bundestages weiblich waren, stieg ihre Zahl bis 1987 immerhin auf 15,4 Prozent an. In Landtagen, Stadt- und Gemeinderäten machten Frauen mobil (Dok. 12).

In der DDR war Familienpolitik von Anfang an in erster Linie Frauenpolitik, die manchmal auch als „Muttipolitik” ironisiert wurde. Im Kontrast zur Bundesrepublik dominierte das ideologisch propagierte und wirtschaftlich notwendige Gebot der weiblichen Doppelrolle als Berufstätige und Hausfrau/Mutter; dieses Leitbild einer sozialistischen Familie wurde 1965 auch im Familiengesetzbuch verankert (Dok. 2). Im Zeichen der Honeckerschen Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik wurde diese Maxime mit einem breiten Katalog an sozialpolitischen Maßnahmen gefördert, die flächendeckende Krippen- und Kindergartenversorgung, Verlängerung von Schwangerschafts- und Wochenurlaub, Ehekredite und Wohnungsförderung beinhalteten (Kapitel 7). Ende der achtziger Jahre hatte die DDR daher mit ca. 90 Prozent nicht nur eine sehr hohe Mutterrate bei Frauen im Alter von 20-40 Jahren, sondern in Europa auch die höchste Rate weiblicher Arbeitnehmer. Bei Übernahme der Kosten durch die Sozialversicherung war Abtreibung im ersten Trimester (Fristenlösung) seit 1972 legal (Dok. 6). Trotz solcher Fortschritte in der Gleichstellung blieben soziale Vorurteile hartnäckig bestehen (Dok. 11), weshalb es schwierig war, weibliche Kader zu rekrutieren (Dok. 10). Im politischen Bereich galt: Je höher der Grad an Entscheidungsbefugnis, desto geringer die weibliche Vertretung. Obwohl rund 40 Prozent der Abgeordneten in der Volkskammer, dem nationalen Parlament der DDR, weiblich waren, schaffte es bis 1989 keine einzige Frau, den Rang eines Vollmitglieds im Politbüro, des höchsten Entscheidungsgremiums in der DDR, zu erhalten.

Trotz konträrer gesellschaftlicher Ideologien ähnelten sich Bundesrepublik und DDR in der Betonung sozialpolitischer Maßnahmen zur Förderung der Familie (Dok. 14). Beide Gesellschaften entwickelten sich zudem in vielen Bereichen ähnlich: Scheidungsraten stiegen, mehr Frauen verlangten Gleichberechtigung, die Anzahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften stieg. Die Geburtenrate fiel seit den sechziger Jahren in beiden deutschen Staaten, nahm in der DDR jedoch in den achtziger Jahren wieder zu (Dok. 13).

Besonders schwer taten sich beide deutschen Staaten im Umgang mit Homosexuellen. Im Westen wurde der aus dem Kaiserreich stammende Paragraph 175 erst 1969 und 1973 reformiert (Dok. 8). Homosexualität war nun straffrei, doch die Tabuisierung des Themas in der Öffentlichkeit blieb zunächst weiter bestehen. Erst langsam wurden Schwulen-Vereinigungen politisch aktiv. Obwohl das Oberste Gericht der DDR den Paragraphen schon früher aufgehoben und 1968 Homosexualität als legal erklärte hatte, gab es in der DDR keine öffentliche Auseinandersetzung mit diesem Thema. Erst mit dem Auftreten der Immunschwächekrankheit Aids begannen sich Politik und Gesellschaft zaghaft öffentlich mit der Thematik zu befassen. Homosexuelle galten der Staatssicherheit als Risikofaktor und wurden dementsprechend überwacht (Dok. 15).

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