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Dokumente - Politik zwischen Beharrung und Wandel

Das Jahrzehnt nach dem Mauerbau war für beide deutschen Staaten eine Zeit der Stabilisierung wie des Umbruchs. Die Freundschaft zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle führte trotz unterschiedlicher außenpolitischer Prioritäten der beiden Regierungen zum Elysée-Vertrag, der 1963 durchaus umstritten war, doch seither als Grundpfeiler der deutsch-französischen Aussöhnung und Zusammenarbeit gefeiert wird (Dok. 4).

Beschleunigt wurde Adenauers Rücktritt im Herbst 1963 durch die Spiegel-Affäre, des ersten großen Politikskandals seit Gründung der Bundesrepublik. Polizeiaktionen gegen die Wochenzeitung Der Spiegel und zwei ihrer leitenden Redakteure eskalierten zu einer Regierungskrise. Die Angriffe auf die Pressefreiheit wurden in der Presse des In- und Auslands, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten, heftig kritisiert (Dok. 2 und Dok. 3). Mit dem Abschied von dem ersten, das Amt entscheidend prägenden Bundeskanzler Konrad Adenauer ging in der Bundesrepublik eine Ära zu Ende (Dok. 5).

Überraschend kurzlebig war die Regierungszeit des ehemaligen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard, der mit Unterstützung von FDP und CDU, aber gegen den dezidierten Willen seines Vorgängers Adenauer, 1963 zum Bundeskanzler gewählt wurde (Dok. 6). Paradoxerweise scheiterte der Wirtschaftsfachmann nicht zuletzt an der Lösung wirtschafts- und finanzpolitischer Fragen. Erhards Name bleibt verbunden mit seiner Rolle als Architekt der sozialen Marktwirtschaft und Maßhalteappellen (Dok. 1 und Dok. 7), während sein gescheiterter Versuch als „Volkskanzler“ weitgehend in Vergessenheit geraten ist.

Bis heute kontrovers ist die Einschätzung der Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD, die, von Anfang an auf drei Jahre beschränkt, vor allem einen Weg aus der Wirtschaftskrise finden sollte. Eine Reihe wichtiger wirtschafts- und finanzpolitischer Initiativen im Bereich der Konjunktur- und Einkommenspolitik trug zu einer schnellen, wenn auch nur temporären Wiederbelebung der Wirtschaft bei (Kapitel 9). Aber auch in der Normalisierung der Beziehungen zu den kommunistischen Staaten wurden neue Akzente gesetzt (Dok. 8). Im Gegensatz zu den Verfechtern der Großen Koalition betonen ihre Kritiker, dass sie durch die drastische Reduzierung der parlamentarischen Opposition die Rolle des Parlaments unterminiert und maßgeblich zur Radikalisierung der außerparlamentarischen Opposition beigetragen habe (Kapitel 6).

Die Verabschiedung der Notstandsgesetzgebung, die die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung im Falle interner oder externer Bedrohungen der Bundesrepublik garantieren sollte, wurde nach mehreren vergeblichen Anläufen erst durch einen Sinneswandel der SPD-Spitze möglich, da dadurch die für die Verfassungsänderung notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht wurde (Dok. 10). Die Proteste gegen die mögliche Einschränkung der Grundrechte und die Aufhebung der Gewaltenteilung in solchen Notfällen brachten vor allem Gewerkschafter, Studenten und Schriftsteller auf die Barrikaden (Dok. 9). Wie schon die Auseinandersetzung um die Spiegel-Affäre, offenbarte die öffentliche Diskussion um die Notstandsgesetzgebung ein neues Demokratieverständnis, das auch vor radikaler Systemkritik nicht zurückschreckte. CDU/CSU, FDP und SPD führten den Bundestagswahlkampf 1969 ohne konkrete Koalitionsaussagen; das Wahlergebnis, in dem sich sowohl CDU/CSU als auch SPD als Sieger sahen, machte die FDP zum „Zünglein an der Waage“ (Dok. 12).

In der DDR war der 1. Sekretär der SED, Walter Ulbricht, nach dem Mauerbau zunächst fest im Sattel und wichtige gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Reformen wurden auf den Weg gebracht (Dok. 13). Um die Bürger vom Fortschritt des Sozialismus in der DDR zu überzeugen, nahm die ideologische Indoktrinierung zu, die sich unter anderem auf die Freundschaft mit der Sowjetunion und revolutionäre Traditionen deutscher Geschichte stützte (Dok. 11). Der Sturz Ulbrichts im Mai 1971 wurde im Westen oftmals mit seinen Versuchen, die Eigenständigkeit der DDR zu betonen, erklärt. Doch auch Meinungsverschiedenheiten über wirtschaftspolitische Prioritäten spielten bei der mit Hilfe der Sowjetunion inszenierten Machtübergabe von Ulbricht zu Erich Honecker eine wesentliche Rolle (Dok. 14). Ulbricht wurde zu Lebzeiten in erster Linie als stalinistischer Handlanger der Sowjetunion und trockener Bürokrat angesehen. Hinweise auf seine politische Entwicklung vom Dogmatiker zum (verhinderten) Reformer waren bei seinem Tode eher selten (Dok. 15), doch überwiegen sie in der heutigen Bewertung.

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