„Die Gelegenheit ist günstig” (3. Juni 1866)
Diese Karikatur von Wilhelm Scholz (1824-1893) wurde weniger als zwei Wochen vor Ausbruch des Preußisch-Österreichischen Kriegs von 1866 im satirischen Wochenblatt Kladderadatsch veröffentlicht. Sie ist in zwei Hälften aufgeteilt, von denen jede einen eigenen Text hat. Zusammen lauten der Titel und die beiden Bildtexte: „Die Gelegenheit ist günstig, entweder groß zu werden, und auf die Wünsche des Preußischen Volkes, oder – der populärste Mann in Deutschland zu werden und auf dessen allgemeinen Wunsch – einzugehen!” Auf der linken Seite entwirft Bismarck auf einer Tafel einen Plan zur Erreichung der ersten dieser beiden Möglichkeiten, nämlich „groß“ zu werden und auf die öffentliche Meinung in Preußen zu reagieren. Sein Plan umfasst Frieden; die Einrichtung eines deutschen Parlaments auf Grundlage direkter statt indirekter Abgeordnetenwahlen; das Budgetrecht des preußischen Abgeordnetenhauses; und die Reform des Herrenhauses. Auf der rechten Seite legt Scholz nahe, dass Bismarck die zweite Option – „der populärste Mann in Deutschland zu werden“ – wesentlich leichter erreichen könnte: er müsste nur zurücktreten! Hier wird Bismarck gezeigt, wie er sich beide Ohren zuhält und vor einer aufgebrachten Menge flieht. Zwei Figuren im Mob halten Transparente mit der Forderung nach einem Ministerwechsel hoch; ein anderer verlangt Bismarcks Abtreten, und ein weiterer fordert Frieden. Mit dem doppeldeutigen „eingehen“ konstruiert Scholz ein Wortspiel, das sowohl auf Bismarcks Nachgeben gegenüber der Stimmung im preußischen Volk anspielt wie auf seinen potenzielles Scheitern, denn bei der Veröffentlichung der Karikatur glaubten die meisten Beobachter in Mitteleuropa, dass Bismarcks Amtszeit als Ministerpräsident die von ihnen erwartete preußische Niederlage durch Österreich und dessen Verbündete nicht überdauern würde. Preußens folgenschwerer Sieg in der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 gab ihnen Unrecht. Quelle: „Die Gelegenheit ist günstig“ von Wilhelm Scholz, Kladderadatsch, Bd. 19, Nr. 25 (3. Juni 1866), S. 100.
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