Die durchschnittlichen Jahresverdienste von Arbeitsnehmern in Industrie, Handel und Verkehr (1871-1913)
Die realen Auswirkungen der Lohnschwankungen müssen immer die Nominal- oder Reallöhne und die Veränderungen bei den Lebenshaltungskosten berücksichtigen. Wenn der Nominallohn eines Berufstätigen während einer bestimmten Zeit steigt, sich jedoch die Lebenshaltungskosten noch stärker erhöhen, dann ist sein oder ihr Reallohn zurückgegangen. Die vorliegende Tabelle zeigt die Wechselbeziehung dieser Faktoren. Eine Phase relativer Wirtschaftsstagnation trat nach 1873 auf, und hier sind deren Folgen in den Jahren 1875-1880 zu ersehen: Obwohl der Lebenshaltungskostenindex in diesem halben Jahrzehnt ein wenig sinkt und damit einen Zeitraum der Preisdeflation anzeigt, gehen die Nominallöhne noch deutlicher zurück. Folglich fielen die durchschnittlichen Reallöhne der deutschen Arbeitnehmer von 578 auf 524 Mark und der Index der Reallöhne (bei Veranschlagung der Preise von 1895 als Wert 100) von 87 auf 79. Jener Index steigt während des „kleinen Aufschwungs“ in der letzten Hälfte der 1880er Jahre rasch und dann, während des „kleinen Abschwungs“ Anfang der 1890er Jahre, langsamer an. Diese Zuwächse sind zwar geringfügig, aber mit Ausnahme des ersten Halbjahrzehnts von 1875 bis 1880 bewegen sie sich nie im Negativbereich. Daher haben die Historiker ihre früheren Darstellungen einer „großen Depression“ in diesen Jahren revidiert. Ein Grund, weshalb die Zeitgenossen die Jahre 1873-1896 als einen Zeitraum ungewöhnlicher Entbehrungen empfanden, war die Tatsache, dass sie diese Jahre mit den vorangegangenen und darauf folgenden Hochkonjunkturphasen verglichen. Man beachte die drastischen Zuwächse sowohl der Nominal- und der Reallöhne in der Periode von 1895 bis 1913. Der Index der Reallöhne steigt um 25% vom Wert 100 im Jahr 1895 auf 125 im Jahr 1913. Nichtsdestoweniger verhüllen diese Statistiken bedeutende Abweichungen beim Verdienstpotenzial von Arbeitern in unterschiedlichen Wirtschaftssektoren und Landesgebieten. Sie verdecken außerdem die allgegenwärtige Gefahr einer Notlage, wenn die Arbeitslosigkeit, Verletzung, Krankheit oder der Tod des Hauptverdieners einen Verdienstverlust verursachte.
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Die durchschnittlichen Jahresverdienste von Arbeitnehmern in Industrie, Handel und Verkehr*
| 1. Durchschnittlicher Jahresverdienst (nominal) | 2. Index der Lebenshaltungskosten** | 3. Durchschnittlicher Jahresverdienst (real) | Jahr | Mark | 1895 = 100 | 1895 = 100 | in Preisen von 1895 | 1895 = 100 | 1871 | 493 | 74 | 105,8 | 466 | 70 | 1875 | 651 | 98 | 112,7 | 578 | 87 | 1880 | 545 | 82 | 104,0 | 524 | 79 | 1885 | 581 | 87 | 98,6 | 589 | 89 | 1890 | 650 | 98 | 102,2 | 636 | 96 | 1895 | 665 | 100 | 100,0 | 665 | 100 | 1900 | 784 | 118 | 106,4 | 737 | 111 | 1905 | 849 | 128 | 112,4 | 755 | 114 | 1910 | 979 | 147 | 124,2 | 789 | 119 | 1913 | 1 083 | 163 | 129,8 | 834 | 125 |
* In der Tabelle wurden nicht berücksichtigt: Landarbeiter, die in der Hausindustrie und häuslichen Diensten Beschäftigten, Beamte, sowie Arbeiter und Angestellte, für die die Arbeitgeber keine Beiträge zu der aufgrund des Unfallversicherungsgesetzes von 1884 (und seiner Ergänzungen) zwangsweise eingerichteten Unfallversicherung zahlen mussten, weil ihr Jahresverdienst über einer bestimmten Höhe lag. In den meisten Industrien betrug diese Verdienstgrenze bis 1913 3 000 Mark. Für die weitere Einengung des Kreises der erfassten Arbeitnehmer vor 1886, siehe Hohorst, et al., S. 107-08. ** Bei der Berechnung der Lebenshaltungskosten geht Desai durch die Einbeziehung auch von Kleidung, Brennstoff und Beleuchtung von einer breiteren Basis aus als andere Wissenschaftler.
Quelle: Ashok V. Desai, Real Wages in Germany, 1871-1913 (Oxford, 1968), S. 112, 117, 125. Die Berechnung der Prozentzahlen in den Spalten 1 und 3 stammt von den Herausgebern [Gerd Hohorst, Jürgen Kocka und Gerhard A. Ritter]: Sie weichen in Spalte 3 für die Jahre 1871 und 1885 von den bei Desai, S. 36 gegebenen Indexzahlen (66 bzw. 88) leicht ab. Einige Kategorien und Originaldaten abgedruckt in Gerd Hohorst, Jürgen Kocka und Gerhard A. Ritter, Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch II, 2. Aufl. München: Beck, 1978, S. 107-08.
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