GHDI logo

Itzig Behrend, Chronik einer jüdischen Familie in Hessen-Kassel, ca. 1800-1815 (Rückblick)

Seite 4 von 4    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Ende Oktober wurde auch das Land Hannover nach früherem Fuße wiederhergestellt unter von Bremen und unter von Decken. Auch der Kurfürst von Hessen kehrte nach Cassel zurück, da war großer Jubel und Feste. Auch wir Juden brachten das Hanaussen-Teschuo Gebet mit Musik nach der Synagoge zum Wochen-Abschmitt Thelaudaus. Den folgenden Tag. Sonntag, feierten die Christen den Tag seiner Rückkehr, die National-Garde zog mit Musik zur Kirche, abends war Illumination und Ball. [ . . . ]

Als nun der König von Westfalen, Hyronimus, welcher von 1807—1813 regierte, von den Alliirten vertrieben worden und unser Kurfürst in sein Land zurückgekehrt war, hatten die bisherigen Ortseinnehmer viele unangenehme Streitigkeiten mit ihren Gemeinden wegen der Kriegscontrübutionen, welche, wie die Commumen sie jetzt beschuldigten, zuviel auferlegt haben sollten und für sich behalten. Mich aber traf Gottlob solche Beschuldigung nicht. Keiner auch hatte mir in dieser Beziehung etwas gesagt. Haudu laschem ki tanw (Danket dem Ewigen, denn er ist gütig, und ewig dauert seine Güte).

Am 16. Dezember 1813 erschien eine Proklamation des Kurfürsten, durch welche er seine Unterthanen aufforderte, sich freiwillig zur Fahne zu begeben, da er 24000 Mann zu stellen habe. Viele thaten es auch, denn sie dachten, daß sie auch zum Dienst gezwungen werden könnten. Auch ging ein Gerücht, es würde eine Aushebung von 18-50 Jahren stattfinden. Aus Rodenberg stellten sich nun freiwillig zum Jäger-Corps mein Sohn Bernhard, die Söhne des Oberförsters Kleinstöber, des Pastoren Kinder und Friedenrichter Deichmann und mehrere. Sie wurden von Kilian nach Rinteln gebracht und hatten freie Fahrt. Mein Sohn Bernhard bekam von mir an barem Gelde 30 Th: eine Büchse 13 Th. eine Jagdtasche 5 Th. eine Brieftasche 1 Th. außerdem bekam er einen Tuch-Ueberrock und Hose, 3 Hemden 3 Paar Str. eine silberne Taschenuhr, ein Geschenk von seiner Tante Jette.

Von Trier hatten wir Brief desgl. von der Festung Cheonsville, welche von den Hessen belagert wurde, sie hatten mit den Franzosen tüchtig zu kämpfen. [ . . . ]

Am 14. März 1815 am 2. Adar ist mein hochverehrter Vater nach kurzem Krankenlager infolge eingetretener Altersschwäche in seinem 82. Lebensjahr sanft entschlafen, an seinem Sterbebett waren zugegen mein Bruder Feibisch und Ahron, Benhein und ich, wie sämtliche Mitglieder der hiesigen Gemeinde. Er hatte letztere zum Abschied eingeladen, er ließ dann denselben einen Mischebeirach machen, bat alle Anwesenden um Verzeihung, so er ihnen etwas zu Leide getan hätte, gelobte 2½ Th. für die Armenbüchse und vermachte sein noch übriges Vermögen an barem Gelde den Armen.

Mein sel. Vater war ein streng rechtschaffener redlich gesinnter Charakter, als Gemeindemitglied hat er die Lasten der Gemeinde über seine Vermögensverhältnisse gleich den Reichen getragen, obgleich er nicht reich an irdischen Gütern war, so war er mit seinem Teil zufrieden, und wenn wir Kinder ihm Vorwürfe machten, daß er über seine Verhältnisse ginge, so beruhigte er uns, daß es gut sei, Ihr werdet alles wieder bekommen. Gott wird für euch streiten, ihr aber schweigt! Ihr werdet weiter kommen und es wird euch zu Teil werden hier in der Gemeinde, die da größer werden wird, in Ehren zu wohnen. Gott hat das auch in Erfüllung gehen lassen. [ . . . ]



Quelle: „Unsere Familien-Chronik geführt vom seligen Großpapa Jtzig Behrend in jüdisch-deutscher Schrift, ins Deutsche übersetzt Juni 1893 von Dr. Magnus Cohn, Hannover“, in Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur, herausgegeben vom Verbande der Vereine für jüdische Geschichte und Literatur in Deutschland. Zwölfter Band. Berlin: Verlag von M. Poppelauer, 1909, S. 113-34. Bitte beachten Sie: Einige Abschnitte dieser deutschen Übersetzung wurden neu angeordnet, damit der Text (insbesondere der Verlauf der Ereignisse) mit der englischen Übersetzung der Behrend-Chronik übereinstimmt, die in Monika Richartz, Hg., Jewish Life in Germany, Memoirs from Three Centuries, erschienen ist.

Auch abgedruckt in Jüdisches Leben in Deutschland, herausgegeben von Monika Richarz. Veröffentlichungen des Leo-Baeck-Instituts, Bd. 1. Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte 1780-1871. Stuttgart: Deutsche-Verlags Anstalt, 1976, S. 70-82.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite