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Briefwechsel zwischen Kaiserin Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph II., österreichischem Mitregenten, zur religiösen Toleranz (1777)

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Maria Theresia an Joseph
5. Juli 1777

Dieser Brief wird Dich in der Schweiz treffen; diese Leute erkennen nicht den Werth Deiner Gegenwart. Allen Ausschweifenden und Verbrechern ein Asyl, beherbergt sie auch einige unserer Frauen, welche Du, wie ich hoffe, nicht sehen wirst. Sie wären unverschämt genug, darnach zu trachten, und zu meinem großen Schmerze muß ich sagen, in Bezug auf die Religion wäre nichts mehr zu verderben, wenn Du auf dieser allgemeinen Toleranz zu beharren gedenkst, von der Du behauptest, daß sie ein Grundsatz von Dir sei, von dem Du niemals abgehen wirst. Ich hoffe es dennoch, und ich werde nicht aufhören zu beten und würdigere Menschen als ich bin, beten zu machen, daß Gott Dich vor diesem Unglück bewahre, dem größten, welches die Monarchie jemals zu ertragen gehabt hätte. In dem Glauben, Arbeiter zu besitzen, sie zu erhalten, ja sie sogar heranzuziehen, wirst Du Deinen Staat zu Grunde richten und Schuld sein an dem Verderbnisse so vieler Seelen. Wozu würde es Dich führen, die wahre Religion zu besitzen, wenn Du sie so wenig schätzest und liebst, wenn Dir so wenig daran liegt, sie zu erhalten und zu vermehren? Ich sehe diese Gleichgültigkeit an den Protestanten nicht; ich wünschte im Gegentheile, daß man sie nachahme, indem gar kein Staat eine solche Gleichgültigkeit bei sich zuläßt. Du wirst dieß in dieser häßlichen Schweiz sehen; man beobachtet dort täglich und versucht das, was sich im deutschen Reiche, in England, in Sachsen, Baden, Holland u. s. w. mit Ausnahme von Preußen zuträgt, ist aber das Land darum glücklicher? Besitzt es jene Arbeiter, jene Leute, welche dem Staate so nothwendig sind, um ihn blühend zu machen? Es gibt keine weniger glücklichen Länder, keine, die in dieser Beziehung weiter zurück sind als jene Provinzen. Des guten Glaubens bedarf man und unverrückbarer Regeln; wo willst Du sie finden oder erhalten?



Joseph an Maria Theresia
20. Juli 1777

Um Ihren langen und gütigen Brief zu beantworten müssen Sie mir gestatten Ihnen zu sagen, daß das Gemälde und die Schlußfolgerungen, welche Eure Majestät aus dem ableiteten, was ich Ihnen hinsichtlich der Protestanten zu schreiben wagte, die in Mähren entdeckt wurden, mich derart erstaunte und ergriff, daß ich mich im Augenblicke gar nicht zu erinnern wußte, ob Aehnliches aus Irrthum meiner Feder entfloß, während ich doch weit davon entfernt bin es zu denken. Glücklicherweise entriß mich das Wort Toleranz, welches Sie die Güte gehabt haben mir zu wiederholen, meinem Zweifel, und verwandelte meinen ganzen Schrecken in eine zärtliche und lebhafte Erkenntlichkeit für die wahrhaft rührende, heroische, männliche und kräftige Güte, mit der Sie mir die Schlußfolgerungen enthüllten, die Sie daraus ziehen. Das Wort Toleranz allein ist es jedoch, welches das Mißverständniß verursachte. Sie haben es in einem ganz anderen Sinne genommen. Gott bewahre mich davor zu denken, daß es gleichgültig sei, ob die Staatsangehörigen protestantisch werden oder Katholiken bleiben, und noch weniger, ob sie dem Cultus anhängen oder ihn wenigstens beobachten, den sie von ihren Vätern überkamen. Alles was ich besitze, würde ich darum geben, wenn sämmtliche Protestanten Ihrer Staaten zum Katholizismus übertreten würden.

Bei mir will das Wort Toleranz nur sagen, daß ich in allen bloß irdischen Dingen Jedermann ohne Unterschied der Religion anstellen würde, ihn Güter besitzen, Gewerbe ausüben, Staatsbürger sein ließe, wenn er hiezu befähigt und dem Staate und seiner Industrie zum Vortheile wäre. Diejenigen, welche unglücklicher Weise einem falschen Glauben anhängen, sind viel entfernter von ihrer Bekehrung, wenn sie in ihrem Lande verbleiben, als wenn sie in ein anderes übersiedeln, wo sie die überzeugenden Wahrheiten des katholischen Glaubens hören und sehen. Ebenso macht die ungestörte Ausübung ihres Cultus sie zu viel besseren Unterthanen und läßt sie die Religionslosigkeit vermeiden, welch letztere für die Verführung unserer Katholiken weit gefährlicher ist, als wenn man Jene ihren Cultus ungehindert beobachten läßt. Wenn die Protestanten diese Methode in ihren Staaten nicht allgemein annehmen, so geschieht dieß, weil ihre Leitung die Klarheit und den Scharfblick der unsrigen flieht, und weil es für Republiken schwieriger ist, ähnliche Aenderungen zu unternehmen. Wenn ich endlich die Muße hätte, die ein Brief nicht gewährt, so würde ich wohl den Beweis führen können, daß wie ich die Sache betrachte, ich mich unmittelbar darauf vor dem verehrungswürdigen Richterstuhle einzufinden vermöchte, der über mein ewiges Schicksal entscheiden wird. Gewiß würde dann Niemand Lutheraner oder Calvinist werden; in allen Religionen würde es weniger Ungläubige geben, der Staat würde viel dabei gewinnen, und ich kann nicht glauben, daß Alles dieß vereinigt mich vor den Augen Gottes schuldig erscheinen ließe. Mir wenigstens schiene es weder mit seiner Vollkommenheit noch mit dem Amte vereinbar, welches er mir übertrug, indem er mich zum Diener von fünfzehn Millionen Menschen gemacht hat.

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