Die Erörterung ging über auf den Rang zwischen Kaisern und Königen, zwischen Erzherzogen, Großherzogen und preußischen Prinzen. Meine Darlegung, daß den Kaisern im Prinzip ein Vorrang vor Königen nicht eingeräumt werde, fand keinen Glauben, obwohl ich mich darauf berufen konnte, daß Friedrich Wilhelm I. bei einer Zusammenkunft mit Karl VI., der doch dem Kurfürsten von Brandenburg gegenüber die Stellung des Lehnsherrn hatte, als König von Preußen die Gleichheit beanspruchte und durchsetzte, indem man einen Pavillon erbauen ließ, in den die beiden Monarchen von den entgegengesetzten Seiten gleichzeitig eintraten, um einander in der Mitte zu begegnen.
Die Zustimmung, welche der Kronprinz zu meiner Ausführung zu erkennen gab, reizte den alten Herrn noch mehr, so daß er auf den Tisch schlagend sagte: »Und wenn es so gewesen wäre, so befehle ich jetzt, wie es sein soll. Die Erzherzoge und Großherzoge haben stets den Vorrang vor den preußischen Prinzen gehabt, und so soll es ferner sein.« Damit stand er auf, trat an das Fenster, den um den Tisch Sitzenden den Rücken zuwendend. Die Erörterung der Titelfrage kam zu keinem klaren Abschluß; indessen konnte man sich doch für berechtigt halten, die Zeremonie der Kaiserproklamation anzuberaumen, aber der König hatte befohlen, daß nicht von dem Deutschen Kaiser, sondern von dem Kaiser von Deutschland dabei die Rede sei.
Diese Sachlage veranlaßte mich, am folgenden Morgen, vor der Feierlichkeit im Spiegelsaale, den Großherzog von Baden aufzusuchen als den ersten der anwesenden Fürsten, der voraussichtlich nach Verlesung der Proklamation das Wort nehmen würde, und ihn zu fragen, wie er den neuen Kaiser zu bezeichnen denke. Der Großherzog antwortete: »Als Kaiser von Deutschland, nach Befehl Sr. Majestät.« Unter den Argumenten, welche ich dem Großherzoge dafür geltend machte, daß das abschließende Hoch auf den Kaiser nicht in dieser Form ausgebracht werden könne, war das durchschlagendste meine Berufung auf die Tatsache, daß der künftige Text der Reichsverfassung bereits durch einen Beschluß des Reichstags in Berlin präjudiziert sei. Die in seinen konstitutionellen Gedankenkreis fallende Hinweisung auf den Reichstagsbeschluß bewog ihn, den König noch einmal aufzusuchen. Die Unterredung der beiden Herren blieb mir unbekannt, und ich war bei Verlesung der Proklamation in Spannung. Der Großherzog wich dadurch aus, daß er ein Hoch weder auf den Deutschen Kaiser noch auf den Kaiser von Deutschland, sondern auf den Kaiser Wilhelm ausbrachte. Se. Majestät hatte mir diesen Verlauf so übelgenommen, daß er beim Herabtreten von dem erhöhten Stande der Fürsten mich, der ich allein auf dem freien Platze davor stand, ignorierte, an mir vorüberging, um den hinter mir stehenden Generälen die Hand zu bieten, und in dieser Haltung mehrere Tage verharrte, bis allmählich die gegenseitigen Beziehungen wieder in das alte Geleise kamen.
Quelle: Otto von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Hg., Horst Kohl. 3 Bde. Stuttgart: J.G. Cotta, 1898, Bd. 2 (Kapitel 23: Versailles), S. 119-22.
Abgedruckt in Otto von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. Mit einem Essay von Lothar Gall. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1998, S. 360-62.