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Jeanette Wolff: Wiedergutmachung für NS-Opfer (1955)

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Traurig vielleicht – vielleicht gut! Aber notwendig ist es, daß hier in aller Öffentlichkeit einmal ausgesprochen wird, was im Sinne unserer jungen Demokratie sein muß – wenn wir nämlich in den Zeitungen lesen, wie vorsichtig man ist mit Urteilen gegen jene, die in der Nazizeit Morde auf ihr Gewissen geladen haben; ob auf höheren Befehl oder ohne Befehl, ist gleichgültig. Wir haben hier im Sinne unserer Demokratie zu denken und zu handeln. Es sind Urteile, die so milde ausfallen, daß wir glauben, in jenen Kreisen der ewig Gestrigen ist der Gedanke aufgetaucht: Wie schwach ist diese Demokratie, daß sie es nicht wagt, gegen ihre eigenen Mörder vorzugehen!
(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wir haben im Interesse der Abwehr der Untergrabung der Demokratie daran zu denken, daß wir den Opfern aus der Nazizeit gerecht werden müssen. Das wäre die beste Abfuhr für jene, die immer noch glauben, in der Bundesrepublik oder in Berlin ihre Ansprüche geltend machen zu können, und die laut rasselnd von einem Wiederaufbau Deutschlands in ihrem Sinne sprechen, jene ewig Unbelehrbaren und jene auch Boshaften, die unter der Devise, demokratisch zu sein, die Demokratie unterminieren und Dynamitpatronen unter den Bau unseres jungen demokratischen Staates legen. Es wäre die beste Demonstration, ihnen zu zeigen: Dieser demokratische Bundestag will mit Rücksicht auf die Demokratie alles tun, was finanziell in seiner Kraft liegt, um den Opfern aus der Nazizeit gerecht zu werden.
(Beifall bei der SPD.)

Dieser Bundestag hat diese Opfer nicht vergessen, ebensowenig wie dieser Bundestag und dieser demokratische Staat je vergessen darf, was jene Verbrecher, die heute wieder laut werden wollen, dem deutschen Volke und seinen Nachkommen angetan haben.

Deshalb möchte ich, meine sehr verehrten Herren und Damen, daß wir, die wir doch auf der einen Seite hohe Pensionen bewilligen, die Erhöhung der Etatsumme in Tit. 311 vornehmen, damit die vielen, die heute noch darauf warten, schon in diesem Jahr eine schnellere und umfassendere Entschädigung erhalten können. Besser als alle Pressenotizen, besser als alle öffentlichen Reden wirkt die Tat, die Tat auch für die Verfolgten der Nazizeit. Unserem Ansehen im Ausland kann es nur guttun, wenn wir endlich einmal auch an die Verfolgten denken, die noch in Deutschland leben und deren Hinterbliebene oft in großer Not ihr Leben fristen müssen.

Ich bitte deshalb das Hohe Haus im Namen der vielen, die heute noch nicht zu ihrem Recht gekommen sind, deren Angehörige in KZs oder Zuchthäusern umkamen oder die selbst Opfer einer furchtbaren Geschichtsperiode waren, den Antrag der Sozialdemokratie auf Erhöhung des Tit. 311 anzunehmen. Meine Herren und Damen, für mich wäre es das beste Geburtstagsgeschenk, das mir der Bundestag geben könnte, wenn er dieser Erhöhung zustimmte.
(Beifall bei der SPD und in der Mitte.)



Quelle: Herbert Wehner, Hg., Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort! Bundestagsreden sozialdemokratischer Parlamentarierinnen 1949-1979. Bonn: Verlag Neue Gesellschaft GmbH, 1980, S. 53-56.

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