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Besetzung eines Berliner Mietshauses (1981)

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Irgendwann kommen dann auch die Bullen, genauer gesagt, zwei KOB's, Kontaktbereichsbeamte. Ob das Haus besetzt ist? Dumme Frage, sieht man doch. Naja, und reinkommen dürfen sie wohl sowieso nicht? Genau. Alles klar. Auf dem Revier werden wir jetzt in die entsprechende Liste eingetragen. Ein paar Tage lang müssen zwei Zivile in ihrem VW-Golf so tun, als stünden sie rein zufällig vor unserem Haus, um sich ein Bild von den Besetzern zu machen.

Der Briefträger bringt uns mittlerweile jeden Morgen die TAZ, der Kohlenhändler hat uns in die Liste seiner Kunden aufgenommen. Eines Tages kommt der Chef von der chemischen Reinigung gegenüber mit einem großen Plastiksack. Die erste Wäsche sei umsonst, erklärt er, und: «Sauber muß man immer sein.» Mit einem alten Sofa und zwei selbstgebackenen Torten bewaffnet erscheinen eines Nachmittags fünf Omas von dem Altersheim nebenan: «Auf gute Nachbarschaft!» Sie sind ganz überwältigt von ihrem eigenen Mut, wir auch. Irgendwann steht auf der Mauer, die uns vom benachbarten Supermarkt trennt, eine Kiste mit leicht angeschlagenem Gemüse. Mittlerweile spielen wir manchmal gegen die Bolle-Auswahl Fußball.

Auch der Herr von der «Neuen Heimat», die mit unserem Haus ohnehin nichts Rechtes anzufangen weiß, taucht eines Tages auf. Er ist ganz happy, daß er mal reinkommen darf: «Meistens reden die erst gar nicht mit mir», sagt er traurig. Ansonsten weiß er nicht viel zu sagen: «Das ist ja alles hohe Politik jetzt, da müssen wir abwarten, was rauskommt.»

Mittlerweile ist es Sommer geworden. Im Garten sprießt das Gras (nein, nicht der Rasen). Jeder hat sein eigenes Zimmer, und wir haben auch schon die ersten WG-Diskussionen und Auszüge hinter uns. Den Transvestiten, die an unserem Zaun die Freier locken, haben wir ein kleines Häuschen gebaut, sogar mit Abfalleimer für die Tempotaschentücher. Einer von ihnen legte uns zum Dank dafür auf der Jubiläumsfeier zur halbjährigen Besetzung einen Striptease auf die Bühne, mit dem er sonst ausgehungerte Türken in einem Nachtlokal zwei Straßen weiter aufgeilt. Die radikale Fraktion, die den «Transis» eine Wohnung im Parterre anbieten wollte, konnte sich nicht durchsetzen. Statt dessen ist dort kürzlich eine Baby-Gruppe eingezogen.

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