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Das Gesicht des Krieges – H. J. C. Grimmelshausens Der abentheuerliche Simplicissimus (1669)

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DAS SECHZEHNTE KAPITEL

Simplex träumt ferner vom kriegerischen Leben,
Daß man Geringe nicht pfleg zu erheben.

ALSO mußten sich die Wurzeln dieser Bäume in lauter Mühseligkeit und Lamentieren, diejenige aber auf den untersten Ästen in viel größrer Mühe, Arbeit und Ungemach gedulden und durchbringen, doch waren diese jeweils lustiger als jene, darneben aber auch trotzig, tyrannisch, mehrenteils gottlos und der Wurzel jederzeit eine schwere unerträgliche Last. Um sie stund dieser Reim:

Hunger und Durst, auch Hitz und Kält,
Arbeit und Armut, wie es fällt,
Gewalttat, Ungerechtigkeit
Treiben wir Landsknecht allezeit.

Diese Reimen waren um so viel desto weniger erlogen, weil sie mit ihren Werken übereinstimmten; denn fressen und saufen, Hunger und Durst leiden, huren und buben, raßlen und spielen, schlemmen und demmen, morden und wieder ermordet werden, totschlagen und wieder zu Tod geschlagen werden, tribulieren und wieder gedrillt werden, jagen und wieder gejaget werden, ängstigen und wieder geängstiget werden, rauben und wieder beraubt werden, plündern und wieder geplündert werden, sich förchten und wieder geförchtet werden, Jammer anstellen und wieder jämmerlich leiden, schlagen und wieder geschlagen werden, und in Summa nur verderben und beschädigen, und hingegen wieder verderbt und beschädiget werden, war ihr ganzes Tun und Wesen: woran sie sich weder Winter noch Sommer, weder Schnee noch Eis, weder Hitze noch Kälte, weder Regen noch Wind, weder Berg noch Tal, weder Felder noch Morast, weder Gräben, Pässe, Meer, Mauren, Wasser, Feur noch Wälle, weder Vatter noch Mutter, Brüder noch Schwestern, weder Gefahr ihrer eigenen Leiber, Seelen und Gewissen, ja weder Verlust des Lebens noch des Himmels, oder sonst einzig ander Ding, wie das Namen haben mag, verhindern ließen. Sondern sie weberten in ihren Werken immer emsig fort, bis sie endlich nach und nach in Schlachten, Belägerungen, Stürmen, Feldzügen und in den Quartieren selbsten (so doch der Soldaten irdische Paradeis sind, sonderlich wann sie fette Bauren antreffen), umkamen, starben, verdarben und krepierten, bis auf etliche wenige, die in ihrem Alter, wann sie nicht wacker geschunden und gestohlen hatten, die allerbeste Bettler und Landstürzer abgaben. Zunächst über diesen mühseligen Leuten sassen so alte Hühnerfänger, die sich etliche Jahre mit höchster Gefahr auf den untersten Ästen beholfen, durchgebissen und das Glück gehabt hatten, dem Tod bis dahin zu entlaufen. Diese sahen ernstlich und etwas reputierlicher aus als die unterste, weil sie um einen gradum hinaufgestiegen waren. Aber über ihnen befanden sich noch höhere, welche auch höhere Einbildungen hatten, weil sie die unterste zu kommandieren: diese nannte man Wammesklopfer, weil sie den Pikenierern mit ihren Prügeln und Hellenpotzmarter den Rucken sowohl als den Kopf abzufegen und den Musketierern Baumöl zu geben pflegten, ihr Gewehr damit zu schmieren. Über diesen hatte des Baumes Stamm einen Absatz oder Unterscheid, welches ein glattes Stück war, ohn Äste, mit wunderbarlichen Materialien und seltsamer Saifen des Mißgunsts geschmieret, also daß kein Kerl, er sei dann vom Adel, weder durch Mannheit, Geschicklichkeit noch Wissenschaft hinaufsteigen konnte, Gott geb, wie er auch klettern könnte: dann es war glätter poliert als eine marmorsteinerne Säule oder stählerner Spiegel. Über demselben Ort saßen die mit den Fähnlein; deren waren teils jung und teils bei ziemlichen Jahren; die Junge hatten ihre Vettern hinaufgehoben, die Alte aber waren zum Teil von sich selbst hinaufgestiegen, entweder auf einer silbernen Leiter, die man Schmiralia nennet, oder sonst auf einem Steg, den ihnen das Glück aus Mangel anderer gelegt hatte. Besser oben saßen noch höhere, die auch ihre Mühe, Sorge und Anfechtung hatten; sie genossen aber diesen Vorteil, daß sie ihre Beutel mit demjenigen Speck am besten spicken können, welchen sie mit einem Messer, das sie Kontribution nannten, aus der Wurzel schnitten; am tunlichsten und geschicktesten fiel es ihnen, wann ein Kommissarius daherkam und eine Wanne voll Geld über den Baum abschüttete, solchen zu erquicken, daß sie das Beste von oben herab auffiengen und den untersten soviel als nichts zukommen ließen. Dahero pflegten von den untersten mehr Hungers zu sterben, als ihrer vom Feinde umkamen, welcher Gefahr miteinander die höchste entübrigt zu sein schienen. Dahero war ein unaufhörliches Gekrabbel und Aufklettern an diesem Baum, weil jeder gern an den obristen glückseligen Orten sitzen wollte. Doch waren etliche faule liederliche Schlingel, die das Kommißbrod zu fressen nicht wert waren, welche sich wenig um eine Oberstelle bemüheten, und einen Weg als den andern tun mußten, was ihre Schuldigkeit erforderte. Die Unterste, was ehrgeizig war, hoffeten auf der Obern Fall, damit sie an ihren Ort sitzen möchten, und wann es unter zehen Tausenden einem geriet, daß er so weit gelangte, so geschahe solches erst in ihrem verdrüßlichen Alter, da sie besser hintern Ofen taugten, als im Feld vorm Feind zu liegen und demselben die Spitze zu bieten; und wann schon einer wohl stund und seine Sache rechtschaffen verrichtete, auch sich tapfer in allen Gefahren verhielte, so ward er von andern geneidet oder sonst durch einen unversehenlichen unglücklichen Dunst beides, der Scharge und des Lebens, beraubt. Nirgends hielt es härter als an obgemeldtem glatten Ort; dann welcher einen guten Feldwaibel oder Scherganten hatte, verlor ihn ungern, welches aber geschehen mußte, wann man einen Fähnrich aus ihm gemachet hätte. Man nahm dahero anstatt der alten Soldaten viel lieber Plackscheißer, Kammerdiener, erwachsene Pagen, arme Edelleute, irgends Vettern und sonst Schmarotzer und Hungerleider, die denen, so etwas meritiert, das Brod vorm Maul abschnitten und Fähnrich wurden.



Quelle: H. J. C. Grimmelshausen, Der abentheuerliche Simplicissimus, herausgegeben von Adolf A. Steiner. Zürich: Stauffacher 1969, S. 24-37, 54-62.

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