GHDI logo

Vom Reformer zum Revolutionär – Thomas Müntzer, Die Fürstenpredigt (13. Juli 1524)

Seite 4 von 7    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Auch die lieben Apostel haben mit dem höchsten Fleiß der Gesichte gewärtig sein müssen, wie es in ihrer Geschichte klar beschrieben ist.

Ja, es ist recht im Sinne von Aposteln, Kirchenvätern und Propheten, auf die Gesichte zu warten und sie dann mit schmerzlicher Betrübnis zu überkommen. Darum ist es kein Wunder, daß sie Bruder Mastschwein und Bruder Sanftleben verwirft, siehe auch Hiob 28. Wenn schon der Mensch das klare Wort Gottes nicht in der Seele vernommen hat, dann muß er Gesichte haben. Als Sankt Peter in der Apostelgeschichte das Gesetz (Lev., 11. Kapitel) nicht verstand und an der Speise zweifelte, folglich auch, ob er die Heiden zu seiner Gesellschaft nehmen könne (Act. 10), da gab ihm Gott ein Gesicht im Überschwang seines Gemütes.

[ . . . ]

Daraus schließe ich nun, daß derjenige, der aus fleischlichem Urteil heraus unerfahren ist und den Gesichten feind ist, sie also alle verwerfen will, oder auch sie ohne Bescheidwissen alle aufnehmen will – zumal die falschen Träumer durch die Ehrgeizigen und Gewinnsucher der Welt einen solchen Schaden zugefügt haben –, nicht wohl ankommen wird, sondern sich am Heiligen Geist stoßen wird (2. Kapitel Joel), wo Gott klar – wie dieser Daniel-Text – von der Veränderung der Welt spricht.

Er will sie in den letzten Tagen durchführen, daß sein Name recht gepriesen werden soll. Er will sie ihrer Schande entledigen und seinen Geist über alles Fleisch ausgießen, und unsere Söhne und Töchter sollen weissagen und Träume und Gesichte haben etc.

Denn wenn die Christenheit nicht wie die Apostel werden sollte, wo Joel vorgetragen wird (Act. 27), warum sollte man dann predigen? Wozu dient dann die Bibel, die von Gesichten spricht? Es ist wahr, und ich weiß es fürwahr, daß der Geist Gottes jetzt vielen auserwählten frommen Menschen offenbart, daß eine treffliche, unüberwindliche zukünftige Reformation dringend vonnöten ist, und sie muß vollführt werden. Es wehre sich gleich ein jeglicher, wie er will, die Weissagung Daniels bleibt doch ungeschwächt, auch wenn ihr niemand glauben will, wie auch Paulus zu den Römern im 3. Kapitel sagt.

Es ist dieser Daniel-Text so klar wie die helle Sonne, und das Werk geht jetzt recht im Schwange vom Ende des fünften Reichs der Welt: Das erste ist erklärt durch den goldenen Knauf, das war das Reich zu Basel; das zweite durch Brust und Arm von Silber, das war das Reich der Meder und Perser. Das dritte war das Reich der Griechen, welches erschallet mit seiner Klugheit und das durch das Erz angezeigt ist; das vierte war das Römische Reich, das mit dem Schwert errichtet worden ist und ein Reich des immerwährenden Zwanges war. Aber das fünfte ist das, das wir vor Augen haben, das auch von Eisen ist und auch gern Zwang ausüben wollte, aber es ist mit Kot geflickt, wie wir es vor unseren sichtigen Augen sehen, nichts als Anschläge der Heuchelei, die sich auf dem ganzen Erdreich krümmt, windet und wimmelt. Denn wer nicht plasteuken kann, der muß ein toller Kopf sein.

Man sieht jetzt gut, wie sich die Aale und die Schlangen miteinander auf einem Haufen begatten. Die Pfaffen und alle bösen Geistlichen sind Schlangen, wie sie Johannes, der Täufer Christi, nennt (Matth. 3), und die weltlichen Herren und Regenten sind Aale, wie Leviticus im 11. Kapitel von Fischen etc. figuriert ist. Da haben sich die Reiche des Teufels mit Ton beschmiert.

Ach, liebe Herren, wie hübsch wird der Herr da mit einer eisernen Stange mitten in die alten Töpfe schmeißen (Psalm 2). Darum, ihr allerteuersten, liebsten Regenten, gewinnt eure Erkenntnis recht aus dem Munde Gottes und laßt euch nicht durch eure heuchlerischen Pfaffen verführen und mit gedichteter Geduld und Güte aufhalten. Denn der Stein, ohne Hände vom Berge gerissen, ist groß geworden. Die armen Laien und Bauern sehen ihn viel schärfer an als ihr. Ja, Gott sei gelobt, er ist so groß geworden, daß andere Herren oder Nachbarregenten, wenn sie euch um des Evangeliums willen verfolgen wollten, von ihrem eigenen Volk vertrieben würden. Das weiß ich fürwahr. Ja, der Stein ist groß; davor hat sich die blöde Welt schon lange gefürchtet. Er ist schon auf sie gefallen, als er noch klein war.

Was sollen wir denn nun tun, wo er so groß und mächtig geworden ist? Und nachdem er so mächtig unverzüglich auf die große Säule geschlagen und sie bis auf die alten Töpfe zerschmettert hat? Darum, ihr teuren Regenten von Sachsen, tretet keck auf den Eckstein, wie der heilige Petrus tat (Matth. 16), und sucht die rechte Beständigkeit, die der göttliche Willen verleiht. Er wird euch wohl erhalten auf dem Stein (Psalm 39). Eure Gänge werden richtig sein, suchet nur geradewegs Gottes Gerechtigkeit und greifet die Sache des Evangeliums tapfer an! Denn Gott steht so nah bei euch, wie ihr es nicht glauben könnt. Warum wollt ihr euch dann vor dem Gespenst des Menschen entsetzen (Psalm 117)?

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite