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Vom Reformer zum Revolutionär – Thomas Müntzer, Die Fürstenpredigt (13. Juli 1524)

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Zum dritten sollt ihr die Meinung wissen, daß Gott seinen Auserwählten so ganz und gar holdselig ist, so daß er, wenn er sie im allergeringsten warnen könnte (Deutr. 1 und 32, Matth. 23), es aufs höchste täte, wenn sie diese Warnung auch vor großem Unglauben zu empfangen bereit wären. Denn hier stimmt dieser Daniel-Text mit dem des heiligen Paulus (Korintherbrief, 2. Kapitel) überein und ist aus dem heiligen Jesaja (64. Kapitel) genommen, der sagt: »Was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben. Aber uns hat es Gott offenbart durch seinen Geist, denn der Geist erforschet alle Dinge, ja auch die Tiefe der Gottheit etc.«

Darum ist das in Kürze die ernstliche Meinung; wir müssen wissen und dürfen nicht allein in den Wind glauben, was uns von Gott gegeben ist und was vom Teufel oder von der Natur. Denn wenn unser natürlicher Verstand durch diese Erkenntnis zur Dienstbarkeit des Glaubens gefangen werden soll (2. Kor. 10), dann muß er bis zum letzten Grad all seiner Erkenntnisse kommen, wie im 1. Kapitel des Römerbriefes und im 3. Kapitel des Buches Baruch angezeigt ist. Von diesen Erkenntnissen kann er aber keine mit dem guten Grund seines Gewissens erschließen ohne Gottes Offenbarung. Da wird der Mensch klar herausfinden, daß er nicht mit dem Kopf durch den Himmel laufen kann, sondern daß er erst ganz und gar zum innerlichen Narren werden muß (Jes. 29,33, Offb. 1, 1. Kor. 1).

Oh, das ist dann der klugen, fleischlichen, wollüstigen Welt gar ein seltsamer Wind. Da folgen alsbald die Schmerzen wie bei einer Gebärerin (Ps. 47, Joh. 16). Da findet Daniel und ein jeglicher frommer Mensch mit ihm, daß für ihn auf diese Weise alle Dinge von Gott zu erforschen ebenso unmöglich sind wie anderen gemeinen Menschen. Das meint der weise Mann (Ecc. 3), wenn er sagt: »Wer da ausforschen will Gottes Herrlichkeit, der wird von seinem Preis erdrückt.« Denn je mehr die Natur nach Gott greift, um so weiter entfremdet sich von ihr die Wirkung des Heiligen Geistes, wie der 138. Psalm klar anzeigt.

Ja, wenn der Mensch über den Fürwitz des natürlichen Lichts Bescheid wüßte, würde er ohne Zweifel nicht so viel Notbehelf mit gestohlener Schrift suchen, wie es die Gelehrten mit einem Stücklein oder mit zweien tun (Jes. 28, Jer. 8), sondern er würde bald die Wirkung des göttlichen Wortes aus seinem Herzen quellen empfinden (Joh. 4). Ja, er brauchte nicht die faulen Wasser aus dem Brunnen zu tragen (Jer. 2), wie das jetzt unsere Gelehrten tun. Sie vermengen die Natur mit der Gnade ohne allen Unterschied. Sie hindern dem Wort seinen Gang, der vom Abgrund der Seele herkommt (Psalm 118), wie Moses Deutr. 30 sagt: »Das Wort ist nicht weit von dir. Sieh, es ist in deinem Herzen etc.«

Nun fragst du vielleicht: Wie kommt es dann ins Herz? Antwort: Es kommt von Gott oben hernieder in einer hohen Verwunderung, was ich jetzt bis auf ein anderes Mal bestehen lasse. Und die Verwunderung, ob es Gottes Wort sei oder nicht, hebt sich an, wenn einer ein Kind von sechs oder sieben Jahren ist, wie Num. 19 figuriert ist. Darum trägt Sankt Paulus im 10. Kapitel des Römerbriefes Moses und Jesajas vor und redet da vom innerlichen Wortezuhören in dem Abgrund der Seele durch die Offenbarung Gottes. Und welcher Mensch dessen nicht gewahr oder empfänglich geworden ist durch das lebendige Zeugnis Gottes (Röm. 8), der weiß von Gott nichts gründlich zu sagen, auch wenn er gleich hunderttausend Bibeln gefressen hätte. Daraus kann ein jeglicher wohl ermessen, wie fern die Welt noch vom Christenglauben ist. Noch will niemand sehen oder hören.

Soll nun der Mensch des Wortes gewahr werden und dafür empfänglich sein, so muß ihm Gott seine fleischlichen Lüste nehmen; und wenn die Bewegung von Gott ins Herz kommt, daß er alle Wollust des Fleisches töten will, damit er Gott dort eine Statt geben kann, dann kann er seine Wirkung bekommen. Denn ein tierischer Mensch vernimmt nicht, was Gott in die Seele redet (1. Kor. 2) sondern er muß durch den Heiligen Geist auf die ernstliche Betrachtung des lauteren, reinen Verstandes des Gesetzes gewiesen werden (Ps. 18) sonst ist er blind im Herzen und dichtet sich einen hölzernen Christus und verführt sich selber.

Darum sieh hier zu, wie sauer es dem lieben Daniel geworden ist, dem König das Gesicht auszulegen, und wie fleißig er Gott deshalb besucht und gebeten hat.

Also auch zur Offenbarung Gottes muß sich der Mensch von aller Kurzweil absondern und einen ernsthaften Sinn zur Wahrheit tragen (2. Kor. 6), und er muß durch die Übung solcher Wahrheit die unbetrüglichen Gesichte vor den falschen erkennen. Deshalb spricht der liebe Daniel im 10. Kapitel: »Es soll ein Mensch Verstand haben in den Gesichten, auf daß sie nicht alle zu verwerfen sind etc.«

Zum vierten sollt ihr wissen, daß ein auserwählter Mensch, der da wissen will, welches Gesicht von Gott und welches von Natur oder Teufel ist, mit seinem Gemüt und Herzen, auch mit seinem natürlichen Verstande abgeschieden sein muß von allem zeitlichen Trost seines Fleisches und daß es ihm gehen muß wie dem lieben Joseph in Ägypten (Gen. 39) und allhier Daniel in diesem Kapitel. Denn das Wort Gottes wird kein wollüstiger Mensch annehmen (Luk. 7); denn die Disteln und Dornen – das sind die Wollüste dieser Welt, wie der Herr (Markus 4) sagt – verdrücken alle Wirkung des Wortes, das Gott in die Seele redet. Darum: Wenn Gott schon sein heiliges Wort in die Seele spricht, so kann es der Mensch nicht hören, wenn er ungeübt ist, denn er hält keine Einkehr oder Einsehen in sich selber und in den Abgrund seiner Seele (Ps. 48). Der Mensch will sein Leben nicht kreuzigen mit seinen Lastern und Begierden, wie Paulus, der heilige Apostel, lehrt. Darum bleibt der Acker von Gottes Wort voll von Disteln und Dornen und großen Stauden, welche alle weg müssen vor diesem Werk Gottes, auf daß der Mensch nicht nachlässig oder faul befunden werde (Prov. 24). Danach sieht man die Freigebigkeit des Ackers und zuletzt auch das gute Gewächs. Dann erst wird der Mensch dessen gewahr, daß er Gottes und des Heiligen Geistes Wohnung ist in der Länge seiner Tage.

Ja, daß er wahrhaftig deshalb geschaffen sei, daß er Gottes Zeugnis in seinem Leben erforschen soll (Ps. 92 und 118), dessen wird er jetzt gewahr, stückweise durch bildreiche Weise, jetzt auch im ganzen Abgrund des Herzens (1. Kor. 13)

Zum anderen muß er auch gar wohl mit betrachten, daß die Gleichnisse solcher Figuren in den Gesichten oder Träumen mit allen ihren Umständen in der heiligen Bibel bezeugt sind, auf daß nicht der Teufel daneben einreiße und die Salbe des Heiligen Geistes mit ihrer Süßigkeit verderbe, wie der weise Mann von den Fliegen sagt, die da sterben (Pred. 10).

Zum dritten muß der auserwählte Mensch Achtung haben auf das Werk der Gesichte, daß es nicht herausquelle durch menschliche Anschläge, sondern einfältig nach Gottes unverrücklichem Willen daherfließe, und er muß sich gar eben vorsehen, daß nicht ein Stüpplein von dem, was er gesehen hat, verlorengehe, denn es muß tapfer ins Werk kommen. Aber wenn der Teufel etwas bewirken will, verraten ihn doch seine faulen Fratzen, und seine Lügen gucken zuletzt doch hervor, denn er ist ein Lügner (Joh. 8).

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