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Kaiser Wilhelm II über seine Abdankung (Rückblick 1922)

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Dreißig Jahre ist die Armee mein Stolz gewesen. Ich habe für sie gelebt und an ihr gearbeitet. Und nun nach über vier glänzenden Kriegsjahren mit unerhörten Siegen mußte sie unter dem von hinten gegen sie geführten Dolchstoß der Revolutionäre zusammenbrechen, gerade in dem Augenblick, als der Friede in Greifnähe stand! Und daß in meiner stolzen Flotte, meiner Schöpfung, die Empörung zuerst offen zutage getreten ist, hat mich am tiefften ins Herz getroffen.

Es ist viel darüber geredet worden, daß ich die Armee verlassen habe und in das neutrale Ausland gegangen bin.

Die Einen sagen: Der Kaiser hätte sich zu einem Truppenteil der Kampffront begeben, mit ihm auf den Feind stürzen und in einem letzten Angriff den Tod suchen sollen. – Dadurch wäre aber nicht nur der vom Volke heiß ersehnte Waffenstillstand, über den bereits die von Berlin zum General Foch entsandte Kommission verhandelte, unmöglich gemacht, sondern auch das Leben vieler, und gerade der besten und treuesten Soldaten, nutzlos geopfert worden.

Andere meinen: Der Kaiser hätte an der Spitze des Heeres in die Heimat zurückkehren sollen. – Eine friedliche Rückkehr war aber nicht mehr möglich; die Aufständischen hatten sich der Rheinbrücken und anderer wichtiger Anlagen im Rücken des Heeres bereits bemächtigt. Ich hätte zwar an der Spitze treuer, aus der Kampffront gezogener Truppen die Rückkehr erzwingen können. Aber damit wäre der Zusammenbruch Deutschlands besiegelt gewesen. Denn zum Kampfe mit dem zweifellos nachdrängenden Feinde wäre noch der Bürgerkrieg getreten.

Wieder Andere meinen: Der Kaiser hätte sich selbst den Tod geben sollen. – Das war schon durch meinen festen christlichen Standpunkt ausgeschlossen. Und würde man dann nicht gesagt haben: Wie feige! Jetzt entzieht er sich aller Verantwortung durch den Selbstmord. Dieser Weg schied auch deshalb aus, weil ich darauf bedacht sein mußte, in der vorauszusehenden schweren Zeit meinem Volke und Lande zu helfen und zu nützen. Gerade in der Aufhellung der Schuldfrage, die sich mehr und mehr als der Kernpunkt unseres künftigen Geschicks enthüllte, wußte ich mich besonders berufen, die Sache meines Volkes zu vertreten. Denn mehr wie jeder andere kann ich Zeugnis ablegen von Deutschlands Friedenswillen und von unserem reinen Gewissen.

Nach unendlich schweren Seelenkämpfen habe ich auf dringendstes Anraten meiner zurzeit anwesenden höchsten verantwortlichen Ratgeber den Entschluß gefaßt, außer Landes zu gehen, weil ich auf Grund der mir gemachten Meldungen glauben mußte, dadurch Deutschland am treuesten zu dienen, ihm günstigere Waffenstillstands- und Friedensbedingungen zu ermöglichen und ihm weitere Menschenverluste, den Bürgerkrieg, Not und Elend zu ersparen.



Quelle: Kaiser Wilhlem II, Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878-1918. Leipzig und Berlin: Verlag von K. F. Koehler, 1922, S. 242-46.

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