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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Auszüge aus Die Vernunft in der Geschichte (1837)

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Die Weltgeschichte geht von Osten nach Westen; denn Europa ist schlechthin das Ende der Weltgeschichte, Asien der Anfang. Für die Weltgeschichte ist ein Osten vorhanden, während der Osten für sich etwas ganz Relatives ist, denn obgleich die Erde eine Kugel bildet, so macht die Geschichte doch keinen Kreis um sie herum, sondern sie hat vielmehr einen bestimmten Osten, und das ist Asien. Hier geht die äußerliche physische Sonne auf, und im Westen geht sie unter: dafür steigt aber hier die innere Sonne des Selbstbewußtseins auf, die einen höhern Glanz verbreitet. Die Weltgeschichte ist die Zucht von der Unbändigkeit des natürlichen Willens zum Allgemeinen und zur subjektiven Freiheit.

Das, was in der Erscheinung unser Gegenstand als solcher ist, ist der Staat. Da er die allgemeine Idee, das allgemeine geistige Leben ist, zu dem die Individuen durch die Geburt sich mit Zutrauen und Gewohnheit verhalten, und in dem sie ihr Wesen und ihre Wirklichkeit, ihr Wissen und Wollen haben, sich darin Wert geben und sich dadurch erhalten, so kommt es auf zwei Grundbestimmungen an, erstens die allgemeine Substanz des Staates, den an sich gediegenen einen Geist, die absolute Macht, den selbständigen Geist des Volkes, und zweitens die Individualität als solche, die subjektive Freiheit. Der Unterschied ist, ob das wirkliche Leben der Individuen die reflexionslose Gewohnheit und Sitte jener Einheit ist, oder ob die Individuen reflektierende und persönliche, für sich seiende Subjekte sind. In dieser Beziehung ist es, daß die substanzielle Freiheit von der subjektiven Freiheit zu unterscheiden ist. Die substanzielle Freiheit ist die an sich Vernunft des Willens, welche sich dann im Staate entwickelt. Bei dieser Bestimmung der Vernunft ist aber noch nicht die eigene Einsicht und das eigene Wollen, d.h. die subjektive Freiheit vorhanden, welche erst in dem Individuum sich selbst bestimmt und das Reflektieren des Individuums in seinem Gewissen ausmacht. Bei der bloß substanziellen Freiheit sind die Gebote und Gesetze ein an und für sich Festes, wogegen sich die Subjekte in vollkommener Dienstbarkeit verhalten. Diese Gesetze brauchen nun dem eigenen Willen gar nicht zu entsprechen, und es befinden sich die Subjekte somit den Kindern gleich, die ohne eigenen Willen und ohne eigene Einsicht den Eltern gehorchen. Wie aber die subjektive Freiheit aufkommt und der Mensch aus der äußern Wirklichkeit in seinen Geist heruntersteigt, so tritt der Gegensatz der Reflexionen ein, welcher in sich die Negation der Wirklichkeit in seinen Geist heruntersteigt, so tritt der Gegensatz der Reflexionen ein, welcher in sich die Negation der Wirklichkeit enthält. Das Zurückziehen nämlich von der Gegenwart bildet schon in sich einen Gegensatz, dessen eine Seite Gott, das Göttliche, die andere aber das Subjekt als Besonderes ist. Es handelt sich in der Weltgeschichte um nichts als um das Verhältnis hervorzubringen, worin diese beiden Seiten in absoluter Einigkeit, wahrhafter Versöhnung sind, einer Versöhnung, in der das freie Subjekt nicht untergeht in der objektiven Weise des Geistes, sondern zu seinem selbständigen Rechte kommt, wo aber ebensosehr der absolute Geist, die objektive gediegene Einigkeit ihr absolutes Recht erlangt hat. Im unmittelbaren Bewußtsein des Orients ist beides ungetrennt. Das Substanzielle unterscheidet sich auch gegen das Einzelne, aber der Gegenstand ist noch nicht in den Geist gelegt.

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