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Johann Wolfgang von Goethe, Auszüge aus Die Leiden des jungen Werthers (1774)

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am 27. May.

Ich bin, wie ich sehe in Zückungen, Gleichnisse und Declamation verfallen, und habe darüber vergessen, dir auszuerzählen, was mit den Kindern weiter geworden ist. Ich saß, ganz in mahlerische Empfindung vertieft, die dir mein gestriges Blatt sehr zerstückt darlegt, auf meinem Pfluge wohl zwey Stunden. Da kommt gegen Abend eine junge Frau auf die Kinder los, die sich indeß nicht gerührt hatten, mit einem Körbchen am Arm und ruft von weitem: Philipps du bist recht brav. Sie grüßte mich, ich dankte ihr, stand auf, trat näher hin, und fragte sie, ob sie Mutter von den Kindern wäre? Sie bejahte es, und indem sie dem ältesten einen halben Weck gab, nahm sie das kleine auf und küßte es mit aller mütterlichen Liebe. – Ich habe, sagte sie, meinem Philipps das Kleine zu halten gegeben, und bin mit meinem Ältesten in die Stadt gegangen um Weiß-Brod zu hohlen und Zucker, und ein irden Breypfännchen. – Ich sah das alles in dem Korbe, dessen Deckel abgefallen war. – Ich will meinem Hans (das war der Nahme des Jüngsten) ein Süppchen kochen zum Abende; der lose Vogel, der Große, hat mir gestern das Pfännchen zerbrochen, als er sich mit Philippsen um die Scharre des Brey’s zankte. – Ich fragte nach dem Ältsten, und sie hatte mir kaum gesagt, daß er sich auf der Wiese mit ein paar Gänsen herumjage, als er gesprungen kam und dem zweyten eine Haselgerte mitbrachte. Ich unterhielt mich weiter mit dem Weibe und erfuhr, daß sie des Schulmeisters Tochter sey, und daß ihr Mann eine Reise in die Schweiz gemacht habe, um die Erbschaft eines Vetters zu hohlen. – Sie haben ihn drum betrügen wollen, sagte sie, und ihm auf seine Briefe nicht geantwortet; da ist er selbst hinein gegangen. Wenn ihm nur kein Unglück widerfahren ist, ich höre nichts von ihm. – Es ward mir schwer, mich von dem Weibe loszumachen, gab jedem der Kinder einen Kreuzer, und auch für’s jüngste gab ich ihr einen, ihm einen Weck zur Suppe mitzubringen, wenn sie in die Stadt ginge, und so schieden wir von einander.

Ich sage dir, mein Schatz, wenn meine Sinnen gar nicht mehr halten wollen, so lindert all den Tumult der Anblick eines solchen Geschöpfs, das in glücklicher Gelassenheit den engen Kreis seines Daseyns hingeht, von einem Tage zum andern sich durchhilft, die Blätter abfallen sieht, und nichts dabey denkt, als daß der Winter kommt.

Seit der Zeit bin ich oft draussen. Die Kinder sind ganz an mich gewöhnt, sie kriegen Zucker wenn ich Caffee trinke und theilen das Butterbrod und die saure Milch mit mir des Abends. Sonntags fehlt ihnen der Kreuzer nie, und wenn ich nicht nach der Bethstunde da bin, so hat die Wirthinn Ordre ihn auszuzahlen.

Sie sind vertraut, erzählen mir allerhand, und besonders ergetze ich mich an ihren Leidenschaften, und simpeln Ausbrüchen des Begehrens, wenn mehr Kinder aus dem Dorfe sich versammlen.

Viel Mühe hat mich’s gekostet der Mutter ihre Besorgniß zu nehmen: Sie möchten den Herrn incommodiren.

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