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Friedrich Diesterweg: „Pädagogisches Krebsbüchlein” (1856)

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5. Wie man den Kindern die Religion verleidet

1. Laß sie in möglichst zartem Alter (mit Professor Carl von Raumer vom dritten Lebensjahre an) Katechismusstücke nachsprechen (nachlallen)!* 2. Die Mutter zwinge sie, morgens, mittags und abends lange Gebete zu sprechen! 3. Die Schule nötige sie, vom ersten Schulbesuch an den Katechismus zu lernen und tagtäglich „aufzusagen"!
4. Lange und schwere Gotteslieder zu lernen! 5. Hunderte oder Tausende von Bibelsprüchen, desgleichen Psalmen (besonders die 7 Bußpsalmen), Perikopen usw. wörtlich zu memorieren!
6. Die biblischen Geschichten (3-500 Oktavseiten engen Druckes von Zahn, Preuß und O. Schulz) wortgetreu zu behalten und aufzusagen!
7. Die gelernten Stücke einzeln und im Chore (mit Benutzung des in Mecklenburg erfundenen Repetierzirkels) tagtäglich zu „beten"!
8. In den Religionsstunden ergehe sich der Lehrer mit salbungsvollen Worten in ausgedehnten Anwendungen, in Prologen und Epilogen!
9. Man führe (nach dem Braunschweiger Schulboten!) Schul-Liturgien und -Litaneien ein!
10. Man versammle die Kinder (nach Herrn Sluymer u. a.!) zu lang ausgedehnten Kindergottesdiensten!
11. Man stelle (nach dem Brandenburger Schulblatte!) Gebetsübungen an!
12. Man zwinge ihnen solche Gesangbuchslieder, solche Bekenntnisse auf, deren Inhalt der Überzeugung der Eltern möglichst direkt und stark widerspricht!
13. Man leite den Konfirmandenunterricht so, daß die Katechumenen sich grundmäßig langweilen und den Augenblick der Konfirmation kaum erwarten können! 14. Einschüchterung, Bangemachen vor möglichen Zweifeln und Bedrohung mit den Höllenstrafen kann auch nicht schaden.
16. [sic] Schmähung und Unterdrückung der Vernunft ist, besonders bei intelligenten Kindern, ein probates Mittel.
17. Imponierend priesterliches Ansehen und Beanspruchung unbedingter Autorität tun in nachhaltiger Wirkung auch das ihrige.

Und so weiter.



* Daß dasselbe Mittel öfter wiederkehrt, wird bei der Verwandtschaft und Ähnlichkeit der Zwecke und Absichten niemanden wundernehmen. Der rationell verfahrende Arzt verordnet dasselbe Mittel in verschiedenen Krankheiten, in anderen Verbindungen; nur der Homöopath wendet bei jeder Krankheit nur ein Mittel an. Von der homöopathischen Apotheke sind aber unsere modernsten pädagogischen Heilkünstler keine Freunde; sie lieben die Massen. Der Herr Pfarrer und der Herr Lehrer in Schönebeck verordnen den Schulkindern zur Stärkung ihres Gedächtnisses 120 Kirchenlieder und bezeichnen die Folgen als „sehr erfreuliche". Die Kurmethode des weiland weltberühmten Dr. Eisenbart verrichtet bekanntlich noch größere Wunder. –

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