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Friedrich Diesterweg: „Pädagogisches Krebsbüchlein” (1856)

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4. Zwölf praktische Regeln für die Aneignung des Autoritätsglaubens

1. Sprich den Kindern im Alter der Unmündigkeit möglichst früh – nach Carl von Raumer vom dritten Lebensjahre ab – die Artikel des Glaubens vor und laß sie dieselben nachsprechen!
2. Mache dieses Nachsprechen und Nachglauben zu einer förmlichen Übung, die täglich wiederholt wird, laß die Kinder den Katechismus beten* und verknüpfe die Einprägung desselben mit den frommen Gefühlen, die durch liturgische Andachten und Kindergottesdienste zu erwecken sind!
3. Präge ihnen den Glauben ein, daß die Katechismuslehren dem Menschengeschlecht ohne dessen Zutun von oben mitgeteilt seien, von den Menschen ohne Prüfung angenommen werden müßten, da ja doch die menschlichen Kräfte nicht hinreichten, sie zu fassen oder zu begreifen!
4. Flöße ihnen überhaupt gegen die Natur des Menschen gründliches Mißtrauen ein, daß der Mensch nur durch die Annahme der Glaubensartikel selig werden könne, daß jeder Zweifel an ihrer Wahrheit aus böser Lust entspringe und ewig strafbare Sünde sei!
5. Sage ihnen, daß ihr Katechismus ausschließlich die seligmachenden Wahrheiten, jeder andere Irrlehren enthalte!
6. Stelle ihnen die Abweichung von der „alleinseligmachenden Lehre", den Übergang zu einer andern, als die größte Sünde dar!
7. Warne sie vor dem Umgange mit Andersgläubigen und sondere sie von den Kindern derselben sorgfältig ab!
8. Hüte Dich vor dem Gedanken, die Glaubensartikel begreiflich zu machen und sie von den Kindern, von ihrer Vernunft begreifen lassen zu wollen!
9. Zeige ihnen vielmehr, daß sie geglaubt werden müßten, weil sie unbegreiflich seien (Brandenburger Schulblatt, 1857, No. 1), und daß dieses verdienstlich sei!
10. Laß sie außerdem möglichst viel auswendig lernen, besonders solche Stücke, die den Grad ihrer Auffassungskraft überschreiten – gleichviel oder desto besser, wenn die Stücke in veralteter Sprache abgefaßt sind!
11. Befleißige Dich allüberall der mitteilenden, dogmatischen Lehrweise!
12. Hüte Dich überhaupt, die Verstandeskräfte der Kinder zu wecken, beschränke Dich auf das Anlehren von Worten ohne Anschauung, gewöhne sie, alles auf Deine Autorität anzunehmen, und betrachte die Mahnung der „Neurer", es bei aller Unterweisung auf die Entwicklung der Anlagen und Kräfte und auf die Erzeugung selbständiger Tätigkeit anzulegen, als den Grund des Verderbens! –

Noch mehr der Regeln zur Erreichung des „frommen Zweckes" wird es nicht bedürfen, obgleich, wie bekannt, noch manche andere – gepfefferte und pfeffernde – von altersher im Gebrauch sind und – sich bewährt haben.



* Herr Bormann empfiehlt im Brandenb. Schulblatt „Gebetsübungen", in Mecklenburg stellt man täglich Katechismusandachten an (Rhein. Bl. 55 Vd. S. 223.), und wie im Braunschweigschen (in Luclum) der Freitag begangen wird, haben wir neulich (Rhein. Bl. neueste Folge II.) berichtet. Die Litaneien werden in Mecklenburg nach dem „Repetierzirkel" geübt. Lauter preiswürdige Erfindungen!

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