GHDI logo

Die Autorin Daniela Dahn verkündet ein neues ostdeutsches Selbstbewusstsein (21. September 1996)

Seite 2 von 3    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Es ist übrigens dieses gesamtgesellschaftliche Denken, was viele Ostdeutsche heute vermissen. Völlig zu Recht weist Wolf Wagner darauf hin (taz vom 8.8.96), dass die Westdeutschen sehr amerikanisch geworden sind. Der ungetrübte Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten des Individuums kommt mir ebenso blauäugig vor wie der Ansatz, gesellschaftliche Phänomene zunächst psychologisch erklären zu müssen.

Nach sechs Jahren Einheit entdeckt man plötzlich, dass diese merkwürdige Population von Ostdeutschen statt Dankbarkeit Selbstbewusstsein entwickelt. Da muss man wohl langsam mal nach dem Rechten sehen. Und so startet man im gepanzerten Jeep eine Safari ins Reservat. Mutig blickt man durchs Fernglas und staunt: Diese Gattung begrüßt sich noch mit Handschlag. Und sie bewegt sich in Horden, obwohl sich doch herumgesprochen haben müsste, dass es ergiebiger ist, den Weg zur Tränke allein einzuschlagen.

Tja, es lässt sich wohl nicht länger leugnen: Die neuen Bundesländer gehören mental immer noch zu Osteuropa. Und da hatte man 40 Jahre lang ein anderes Verhältnis zu Geselligkeit, zu Zeit und zu Geld. Einer meiner Sätze, die im Osten auf Anhieb verstanden und im Westen ebenso schnell missverstanden werden, lautet: Die Erfahrung der Zweitrangigkeit von Geld ist unser Kapital.

Mag ja sein, dass dies heute reichlich antiquiert klingt. Deshalb hatte ich anfangs auch noch höllischen Respekt vor uns gestellten Aufgaben wie die nachholende Modernisierung. Inzwischen wächst bei vielen der Verdacht, dass ihnen zum Preis von Haute Couture ein Auslaufmodell untergejubelt wurde.

Widersprechen wird Michael Rutschky (taz vom 15.8.96) niemand: Die DDR war ein „tief unbefriedigender Lebenszusammenhang“. Das trifft auch mein Empfinden ziemlich genau. Nicht wenige Ostler wundern sich allerdings, wieso die BRD in der Fasson, wie sie uns nun mal übergezogen wurde, als befriedigend wahrgenommen werden kann. Der Zusammenbruch des Realsozialismus erwischte den Westen im Grunde auf dem falschen Bein: Der unverhoffte Sieg ließ die Illusion aufkommen, die offenen Rechnungen der Geschichte seien nun ein für allemal beglichen.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite