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„Blühende Landschaften” (1. Juli 1990)

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Natürlich fragen sich viele, was dieser beispiellose Vorgang für sie ganz persönlich bedeutet — für ihren Arbeitsplatz, ihre soziale Sicherheit, für ihre Familien. Ich nehme diese Sorgen sehr ernst.

Ich bitte die Landsleute in der DDR: Ergreifen Sie die Chance, lassen Sie sich nicht durch die Schwierigkeiten des Übergangs, die niemand leugnen kann, beirren. Wenn Sie mit Zuversicht nach vorn blicken, wenn alle mit anpacken, werden Sie und wir es gemeinsam schaffen.

Für das große Ziel der Einheit unseres Vaterlandes werden auch wir in der Bundesrepublik Opfer bringen müssen. Ein Volk, das dazu nicht bereit wäre, hätte seine moralische Kraft längst verloren.

Die Deutschen in der Bundesrepublik rufe ich dazu auf, unseren Landsleuten in der DDR weiterhin zur Seite zu stehen. Denken Sie daran: Die Menschen dort sind vier Jahrzehnte durch eine sozialistische Diktatur um die Früchte ihrer Arbeit betrogen worden. Sie verdienen unsere Unterstützung.

Und für die Menschen in der Bundesrepublik gilt: Keiner wird wegen der Vereinigung Deutschlands auf etwas verzichten müssen. Es geht doch allenfalls darum, Teile dessen, was wir in den kommenden Jahren zusätzlich erwirtschaften, unseren Landsleuten in der DDR zur Verfügung stellen zu wollen — als Hilfe zur Selbsthilfe. Dies ist für mich ein selbstverständliches Gebot nationaler Solidarität.

Es ist zugleich eine Investition in unsere gemeinsame Zukunft. Denn der wirtschaftliche Aufbruch in der DDR wird allen zugute kommen — den Deutschen in Ost und in West und unseren Freunden und Partnern in Europa und in der Welt.

Wann je waren wir wirtschaftlich besser gewappnet für die Gemeinschaftsaufgabe der deutschen Einheit als heute? Unsere Wirtschaft floriert, der wirtschaftliche Aufschwung geht in sein achtes Jahr und in Folge ist glücklicherweise kein Ende abzusehen. Wann hat es das jemals zuvor gegeben?

Wir werden es schaffen — wenn wir uns jetzt wiederum auf die Fähigkeiten besinnen, mit denen wir vor über vierzig Jahren, in einer ungleich schwierigeren Situation, aus den Trümmern unserer Städte und Dörfer die Bundesrepublik Deutschland aufgebaut haben. Damals haben die Menschen mit Mut und mit einer zähen Entschlossenheit, mit Fleiß und mit Einfallsreichtum und nicht zuletzt mit dem Bewußtsein für eine gemeinsame Aufgabe eine stabile Demokratie errichtet.

Sie haben Frieden und Freiheit, Wohlstand und ein hohes Maß an sozialer Gerechtigkeit verwirklicht — für einen Teil Deutschlands. Wir wollen, daß dies alles jetzt endlich auch für das ganze Deutschland Wirklichkeit wird.

Am heutigen Tag bitte ich Sie alle: Gehen wir ohne Zögern gemeinsam ans Werk. Es geht um unsere gemeinsame Zukunft — in einem vereinten Deutschland und einem vereinten Europa.



Quelle: „Fernsehansprache des Bundeskanzlers Kohl zum Inkrafttreten der Währungs- Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990“, Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 86, 3. Juli 1990, S. 741-42.

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