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Godesberger Programm der SPD (November 1959)

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Gemeineigentum ist eine legitime Form der öffentlichen Kontrolle, auf die kein moderner Staat verzichtet. Sie dient der Bewahrung der Freiheit vor der Übermacht großer Wirtschaftsgebilde. In der Großwirtschaft ist die Verfügungsgewalt überwiegend Managern zugefallen, die ihrerseits anonymen Mächten dienen. Damit hat das Privateigentum an den Produktionsmitteln hier weitgehend seine Verfügungsgewalt verloren. Das zentrale Problem heißt heute: Wirtschaftliche Macht. Wo mit anderen Mitteln eine gesunde Ordnung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse nicht gewährleistet werden kann, ist Gemeineigentum zweckmäßig und notwendig.

Jede Zusammenballung wirtschaftlicher Macht, auch die in Staatshand, birgt Gefahren in sich. Deshalb soll das Gemeineigentum nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung und der Dezentralisierung geordnet werden. In seinen Verwaltungsorganen müssen die Interessen der Arbeiter und Angestellten ebenso wie das öffentliche Interesse und das der Verbraucher vertreten sein. Nicht durch zentrale Bürokratie, sondern durch verantwortungsbewußtes Zusammenwirken aller Beteiligten wird der Gemeinschaft am besten gedient.

Einkommens- und Vermögensverteilung

Die Marktwirtschaft gewährleistet von sich aus keine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung. Dazu bedarf es einer zielbewußten Einkommens- und Vermögenspolitik.

Einkommen und Vermögen sind ungerecht verteilt. Das ist nicht nur die Folge massenhafter Vermögensvernichtung durch Krise, Krieg und Inflation, sondern im wesentlichen die Schuld einer Wirtschafts- und Steuerpolitik, die die Einkommens- und Vermögensbildung in wenigen Händen begünstigt und die bisher Vermögenslosen benachteiligt.

Die Sozialdemokratische Partei will Lebensbedingungen schaffen, unter denen alle Menschen in freier Entschließung aus steigendem Einkommen eigenes Vermögen bilden können. Das setzt eine stetige Erhöhung des Sozialprodukts bei gerechter Verteilung voraus.

Die Lohn- und Gehaltspolitik ist ein geeignetes und notwendiges Mittel, um Einkommen und Vermögen gerechter zu verteilen.

Geeignete Maßnahmen sollen dafür sorgen, daß ein angemessener Anteil des ständigen Zuwachses am Betriebsvermögen der Großwirtschaft als Eigentum breit gestreut oder gemeinschaftlichen Zwecken dienstbar gemacht wird. Es ist ein Zeichen unserer Zeit, daß sich das private Wohlleben privilegierter Schichten schrankenlos entfaltet, während wichtige Gemeinschaftsaufgaben, vor allem Wissenschaft, Forschung und Erziehung, in einer Weise vernachlässigt werden, die einer Kulturnation unwürdig ist.

Agrarwirtschaft

Die Grundsätze sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik gelten auch für die Landwirtschaft. Die Struktur der Landwirtschaft und die Abhängigkeit ihrer Produktion von unbeeinflußbaren Naturfaktoren erfordern jedoch besondere Maßnahmen.

Das private Eigentum des Bauern am Boden wird bejaht. Die leistungsfähigen Familienbetriebe müssen durch ein neuzeitliches Boden- und Pachtrecht geschützt werden. Sie sind wirtschaftlich und sozial zu stärken.

Die Förderung des Genossenschaftswesens ist der beste Weg, die Leistungsfähigkeit der kleinen und mittleren Betriebe unter Wahrung ihrer Selbständigkeit zu steigern.

Die Landwirtschaft muß sich den strukturellen Veränderungen der Gesamtwirtschaft anpassen, um ihren vollen Beitrag zur Entwicklung der Gesamtwirtschaft leisten und den in ihr tätigen Menschen einen angemessenen Lebensstandard sichern zu können. Diese Veränderungen werden nicht nur durch den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt, sondern durch die Wandlungen der Standortbedingungen im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit und durch steigende Verflechtung der deutschen mit der Wirtschaft der übrigen Welt bestimmt. Es ist eine öffentliche Aufgabe, die Modernisierung der Landwirtschaft und ihre Leistungsfähigkeit zu fördern. Der landwirtschaftlichen Bevölkerung ist am besten gedient, wenn sie in eine Gesamtwirtschaft von hoher Gesamtproduktivität und breiter Massenkaufkraft eingeordnet ist. Die zur Sicherung des landwirtschaftlichen Einkommens erforderliche Markt- und Preispolitik (Marktordnung) muß die Interessen der Verbraucher und der Volkswirtschaft berücksichtigen.

Die kulturelle, wirtschaftliche und soziale Lage der gesamten Landbevölkerung ist zu verbessern. Der Rückstand in der sozialen Gesetzgebung muß beseitigt werden.

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