Ich war immer der Auffassung – und diese letzten Ereignisse haben für mich wenigstens diesen Gedanken klar bestätigt –, daß es keine Lösung ohne freie Wahlen und die anschließende Bildung einer freien gesamtdeutschen Regierung geben könne, wenn diese Lösung zur Wiedervereinigung führen soll. Davon kann dann eine logische, ordentliche Folge von Ereignissen ausgehen, die in einem ehrenhaften Friedensvertrag und dem Wiedererstehen einer neuen Vereinigten Deutschen Republik gipfelt, die ihre Aufgabe in der Wohlfahrt ihres eigenen Volkes als freundlich gesinntes und friedliches Mitglied der Völkerfamilie sieht.
Diesem ersten Schritt, freie Wahlen, wird die Regierung der Vereinigten Staaten auch weiterhin die volle Stärke ihrer politischen, diplomatischen und moralischen Unterstützung leihen.
Es gibt in Deutschland, bei den westeuropäischen Nationen und sogar in meinem eigenen Lande aufrichtige Menschen, die zu der Überzeugung gelangt sind, daß freie Wahlen und damit auch die Wiedervereinigung Deutschlands der Konzeption der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die von beiden Häusern Ihres Parlaments ratifiziert wurde und jetzt vor Ihrem Verfassungsgerichtshof anhängig ist, widersprechen und diese möglicherweise ausschließen. Ich habe die Theorie nie akzeptiert, daß sich die EVG und die Wiedervereinigung Deutschlands gegenseitig ausschließen. Ganz im Gegenteil.
Wie die drei Außenminister am Ende ihrer letzten Konferenz in Washington erklärt haben, ist die Europäische Gemeinschaft als solche als notwendig anzusehen und steht in keinem Zusammenhang mit den bestehenden internationalen Spannungen, da sie dem ständigen Bedürfnis ihrer Mitglieder und ihrer Völker nach Frieden, Sicherheit und Wohlfahrt entspricht.
Es war seit langem meine Überzeugung, daß die Stärkung der Bundesrepublik durch Annahme der EVG, des Deutschlandvertrages und durch weitere Fortschritte bei der Integration Europas die Aussichten auf eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands nur fördern kann, dadurch, daß sie die Anziehungskraft dieses blühenden Westdeutschlands gegenüber der Sowjetzone erhöht, eine Anziehungskraft, die bereits durch den stetigen Zustrom von Flüchtlingen in den letzten Monaten sowie durch die am 17. Juni begonnenen Demonstrationen bewiesen wurde. Dieser wachsende Kontrast zwischen West- und Ostdeutschland, letzteres mit seinem bankrotten Regime und seiner verarmten Wirtschaft, wird auf die Dauer Bedingungen schaffen, die die Liquidierung der gegenwärtigen kommunistischen Diktatur und der sowjetischen Besetzung ermöglichen müßten.
Obgleich eine künftige gesamtdeutsche Regierung selbstverständlich nach ihrem Ermessen den Grad bestimmen können muß, in dem sie Verteidigungs- und sonstigen Abmachungen beizutreten wünscht, die im Einklang mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen, kann ich mir nur schwer vorstellen, daß sie angesichts anderer noch schwer bewaffneter Nationen den Weg vollständiger und verfrühter Abrüstung einschlagen würde. Ich glaube, daß dies eine Angelegenheit ist, die ernste Aufmerksamkeit verdient. Wer in Deutschland glaubt eine leichte, sichere Lösung durch verteidigungslose Neutralisierung vorschlagen zu können, sollte sorgfältig darüber nachdenken, ob ein solcher Weg wirklich klug und sicher wäre.
Ich spreche für Amerika, und ich glaube, die übrige freie Welt teilt diese Auffassung, wenn ich sage, daß es in den letzten fünfzig Jahren genug Blutvergießen, genug Elend und genug Zerstörung gegeben hat, um die Völker und Regierungen des Westens von jedem Gedanken an eine militärische Aggression abzuschrecken. Aber der Friede, den wir alle so sehnlich erstreben, kann nicht durch Schwäche erhalten werden. Die EVG wird die einfachste, unzweideutigste und klarste Demonstration der Stärke für den Frieden sein.
Niemand kann voraussagen, was die kommenden Monate bringen werden. Aber es läßt sich mit Gewißheit sagen, daß die Arbeiter des sowjetischen Sektors von Berlin und die Arbeiter Ostdeutschlands mit den Arbeitern der Tschechoslowakei etwas begonnen haben, das in den Annalen der Geschichte einen hervorragenden Platz einnehmen wird. Möge das Schlußkapitel dieser Geschichte das Wiedererstehen der Freiheit, des Friedens und des Glücks verzeichnen.
Quelle: „AUSSENMINISTERKONFERENZ IN WASHINGTON VEREINIGTE STAATEN. DEUTSCHLAND (WEST-). GROSSBRITANNIEN. FRANKREICH. SOWJETUNION. Außenpolitik. Einheitsbestrebungen. PLEVEN-PLAN“, Brief Eisenhowers an Adenauer über die Ergebnisse der Washingtoner Konferenz (25. Juli 1953), in Keesing’s Archiv der Gegenwart vom 29. Juli 1953, S. 4092-93.