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Wahlsieg für die „Allianz” (19. März 1990)

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Bundeskanzler Helmut Kohl sprach von einer „glücklichen Stunde”, weil die DDR-Bürger sich gegen jede Form des Extremismus entschieden hätten. Der SED-Nachfolgepartei PDS sei eine klare Absage erteilt worden. Die DDR-Bevölkerung habe statt dessen deutlich gemacht, daß sie einen Weg wolle, der mit der Bundesrepublik zusammen zum vereinten Deutschland führe. Kohl appellierte zugleich an die DDR -Bürger: „Bleiben Sie zu Hause.” Sie sollten mithelfen, mit der Bundesrepublik gemeinsam „dieses wunderschöne Land aufzubauen”.

SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine (SPD) prophezeihte einen Umdenkungsprozeß hinsichtlich der Versprechungen gegenüber der DDR. Die Union werde „wie in der Übersiedlerfrage die Kurve kratzen”. Die SPD werde darüber wachen, daß nicht „Wahlbetrug en permanence” begangen werde.

Ministerpräsident Hans Modrow sieht seine Partei, die PDS, nach den ersten Prognosen zum Ausgang der ersten freien Wahl in der DDR in einer „Position, in der man was bewerkstelligen kann”. Parteichef Gregor Gysi sagte in einer ersten Reaktion, das Ergebnis zeige, daß die ehemalige SED „große Fortschritte im Prozeß der Erneuerung” gemacht habe. Die Partei wolle künftig eine „moderne, linke und vor allem sozialistische Politik gegen Monopole und Alleinherrschaft” machen.

Die Revolutionäre des 9. November zeigten sich vom Wahlausgang bitter enttäuscht. Wolfgang Ullmann von „Demokratie Jetzt” befürchtet, „einen Orkan nationaler Emotionen” heraufziehen. Nach Ansicht des Schriftstellers Stefan Heym wird nach dem Wahlergebnis von der DDR „nichts übrigbleiben als eine Fußnote in der Weltgeschichte”. Heym weiter: „Die Schlange verschluckt den Igel, die Schlange wird Verdauungsschwierigkeiten haben.” Den Wahlen sei eine Revolution vorausgegangen, die von zwei Gruppierungen gemacht wurde. Während die erste mit großem Risiko für eine bessere DDR eingetreten sei, habe die zweite Gruppierung, die sie abschaffen wollte, schließlich gesiegt.

Konrad Weiß vom Neuen Forum forderte angesichts des Ergebnisses die SPD auf, „gemeinsam mit uns in die Opposition zu gehen”. Vom Wahlergebnis selbst zeigte sich Weiß enttäuscht, er habe aber kaum mit mehr Stimmen gerechnet. „Wir brauchen in der Volkskammer keine Hundertschaften, um unsere Position darzustellen”. Jens Reich sprach trotz der nur drei Prozent für das Bündnis 90 von einem Achtungserfolg für die Bürgerbewegung der DDR.

Im Ausland wurde der konservative Wahlsieg mit Skepsis aufgenommen. In Ost und West wurde das Ergebnis als „Sieg der D-Mark” und „Sieg Kohls” gewertet. Eine schnelle Vereinigung Deutschlands sei jetzt zu erwarten.



Quelle: „DDR-Bürger haben den Kohl fett gemacht. Sensationeller Wahlsieg für die ‚Allianz‘“, taz, 19. März 1989.

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