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Friedrich List: Auszug aus Das Nationale System der politischen Oekonomie (1841)

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In der nationalökonomischen Entwickelung der Nationen, vermittelst des internationalen Handels, sind demnach vier verschiedene Perioden erkennbar: in der ersten wird die innere Agrikultur durch Einfuhr fremder Manufakturwaaren und durch die Ausfuhr einheimischer Agrikulturprodukte und Rohstoffe gehoben; in der zweiten erheben sich die innern Manufakturen neben der Einfuhr auswärtiger Manufakturwaaren, in der dritten versorgen die inländischen Manufakturen den inländischen Markt zum größten Theil; in der vierten werden große Quantitäten inländischer Manufakturwaaren exportirt und fremde Rohstoffe und Agrikulturprodukte importirt.

Das Douanensystem, als Mittel, die ökonomische Entwickelung der Nation vermittelst Regulirung des auswärtigen Handels zu fördern, muß stets das Princip der industriellen Erziehung der Nation zur Richtschnur nehmen.

Die innere Agrikultur durch Schutzzölle heben zu wollen, ist ein thörichtes Beginnen, weil die innere Agrikultur nur durch die inländischen Manufakturen auf ökonomische Weise gehoben werden kann, und weil durch die Ausschließung fremder Rohstoffe und Agrikulturprodukte die eigenen Manufakturen des Landes niedergehalten werden.

Die nationalökonomische Erziehung der auf einer niedrigen Stufe der Intelligenz und der Kultur stehenden, oder der im Verhältniß zu dem Umfang und der Produktivität ihres Territoriums an Bevölkerung noch armen Nationen wird am besten durch freien Handel mit sehr kultivirten, reichen und gewerbfleißigen Nationen befördert. Jede Beschränkung des Handels einer solchen Nation, in der Absicht angeordnet, um bei ihr eine Manufakturkraft zu pflanzen, ist voreilig und wirkt nachtheilig nicht nur auf die Wohlfahrt der gesammten Menschheit, sondern auch auf die Fortschritte der Nation selbst. Erst alsdann, wenn die intellektuelle, politische und ökonomische Erziehung der Nation in Folge des freien Handels so weit gediehen ist, daß sie durch die Einfuhr fremder Manufakturwaaren und durch den Mangel an hinlänglichem Absatz für ihre Produkte in ihren weitern Fortschritten aufgehalten und behindert wird, sind Schutzmaßregeln zu rechtfertigen.

Eine Nation, deren Territorium nicht von großem Umfang ist, nicht mannigfaltige natürliche Hülfsquellen darbietet, nicht im Besitz der Mündungen ihrer Ströme oder sonst nicht gehörig arrondirt ist, kann das Schutzsystem entweder gar nicht oder doch nicht mit vollem Erfolg in Anwendung bringen. Eine solche Nation muß allererst durch Eroberung oder Vertrag dergleichen Mängel zu heilen suchen.

Die Manufakturkraft umfaßt so viele Zweige des Wissens und des Könnens, setzt so viele Erfahrungen, Uebungen und Gewohnheiten voraus, daß die industrielle Bildung der Nation nur allmählich von statten gehen kann. Jede Uebertreibung und Uebereilung des Schutzes straft sich selbst durch Verminderung des eigenen Wohlstandes der Nation.

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