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Der Verein deutscher Studenten: Leipziger Studenten gedenken der ersten zehn Jahre (1881-1891)

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Dieser Erweiterung und Vertiefung des eigenen Wissens dienten auch die Hauptveranstaltungen des innern Vereinslebens. Es ist für die Auffassung seiner Mitglieder wie für seine Stellung innerhalb der Korporationen bezeichnend, daß die ordentlichen Mitgliederversammlungen Vortragsabende waren, welche in früheren Jahren in größeren Sälen stattfanden, öfters im Weißen, Gelben oder Roten Saale des Krystallpalastes woran Gäste teilnahmen und wo die Möglichkeit einer Debatte geboten war. Nach diesen Vorträgen fanden Kneipen nach der Kneipordnung statt. Oft berichteten die Zeitungen ausführlich über diese Mitgliederversammlungen. Auf diesen o. M. V. lag der Schwerpunkt des Vereinslebens. So fanden z. B. im W.-S. 84/85 vierzehn solche Versammlungen statt, im S.-S. 85 elf, im W.-S. 85/86 vierzehn, im S.-S. 86 elf u. s. w. Die Vereinsgeschäfte wurden auf außerordentlichen Mitgliederversammlungen (a. o. M. V.) behandelt; sie waren die Vorläufer der späteren Konvente, wie sie seit dem W.-S. 93/94 heißen, und an Zahl weit geringer als die o. M. V. Dies war dadurch möglich, daß der Vorstand weitgehende Befugnisse hatte und nicht durch ein starres Schema von Geschäftsordnungsparagraphen eingeschränkt war und die Leitung auf dem Vertrauen der Wähler in die Persönlichkeit des Führers beruhte, so daß nur die wichtigsten Fragen der a. o. M. V. zur Beschlußfassung vorgelegt wurden, während alles Uebrige der Vorstand selbst regelte und entschied.

Neben der Weiterbildung der Mitglieder wurde auch auf körperliche Ertüchtigung sowie auf Geselligkeit Wert gelegt. Jedes Semester wurden verschiedene Sektionen gebildet, die seit dem W.-S. 87/88 Abteilungen heißen. Sie beruhten auf freiwilligem Zusammenschluß der sich für bestimmte Fragen interessierenden Vereinsbrüder. „Sechs Sektionen“, so heißt es im Jahresbericht des S.-S. 84, „entfalteten in diesem Semester ein reges Leben, so daß jeden Abend eine derselben ihre Sitzungen, oft vor zahlreichen Gästen, besonders Vereinsmitgliedern, besucht, abhielt.“


II.

Im W.-S. 84/85 gab es z. B. eine juristische Sektion, welche an Stelle der bisherigen juristisch-staatswissenschaftlichen Sektion getreten war und aus 10 Mitgliedern bestand; weiter eine theologische Sektion, welche ihre Sitzungen im Vereinslokal „Stadtgarten“, später in der Wohnung eines Mitgliedes abhielt; sodann eine Fechtsektion mit 18 Mitgliedern, welche viermal wöchentlich in der Windmühlenstraße übte; eine Gesangssektion, die mit ihren 8 Mitgliedern jede Woche einen Quartettabend veranstaltete, und eine Spielsektion, die bei einer Mitgliederzahl von 10–15 in der Regel Sonnabends im „Plauenschen Hof“ zu Schach, Billard und Skat zusammenkam. Im nächsten Semester gab es auch eine Turnsektion, später auch einmal eine Kegelsektion, öfter eine Rudersektion und manchmal auch eine Reitersektion. Die einzelnen Sektionen oder Abteilungen wechselten im Laufe der Semester je nachdem, ob sich geeignete Leiter und genügend Teilnehmer fanden. So gab es im W.-S. 86/87 vorübergehend einmal nur zwei Sektionen: die theologische und die Fechtsektion. Aber schon das nächste Semester brachte eine starke Neubelebung des inneren Vereinsbetriebes mit sieben Sektionen. Es waren eine neue Kolonialpolitische Sektion mit 37 Mitgliedern und eine Plattdeutsche Sektion mit 15 Mitgliedern hinzugekommen. In der Letzteren hielt rer. nat. Langhans einen Vortrag über das Thema: „Der Kampf der Flamen gegen die Wallonen in Belgien“ und einen über: „Die Ausdehnung des niederdeutschen Sprachgebietes“; im folgenden Semester sprach Langhans in dieser Sektion über: „Die politischen Verhältnisse in Belgien mit Bezug auf den Nationalitätenkampf zwischen Niederdeutschen (Flamen) und Wallonen“ und hist. Witte über: „Die Verteilung des Hoch- und Niederdeutschen in den polnischen Landesteilen Preußens“. So sehen wir, daß neben den staatspolitischen, volkswirtschaftlichen und sozialen Fragen auch andere Probleme des Volkstums schon frühzeitig im Verein behandelt werden, Probleme, welche damals und auch späterhin weiten Kreisen gänzlich unbekannt waren.

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