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Lion Feuchtwanger, „Du sollst in Häusern wohnen, die du nicht gebaut hast” (20. März 1935)

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Gern möchte ich wissen, was jetzt mit der Kreissäge in der Oberförsterei Grunewald los ist. Ihr Lärm hat mir manchmal die Freude an dem Haus verleidet, und nur mit großer Mühe konnte ich durchsetzen, dass man die Störung beseitigte. Heute freilich dürfte Lärm in Berlin kaum mehr als störend empfunden werden. Immerhin wäre es freundlich von Ihnen, wenn Sie meinen in heissem Kampf erstrittenen Sieg nicht ohne weiteres preisgäben.

Und was haben Sie mit dem Terrarium angefangen im Fenster der Längswand meines Arbeitszimmers? Hat man wirklich meine Schildkröten und meine Eidechsen totgeschlagen, weil ihr Besitzer „fremdrassig“ war? Und haben die Blumenbeete und der Steingarten sehr gelitten, als die SA-Leute meinen krumm und lahm geschlagenen Portier schiessend durch den Garten verfolgten, wie er sich in den Wald flüchtete?

Kommt es Ihnen übrgens nicht doch manchmal merkwürdig vor, dass Sie in meinem Haus sitzen? Ihr „Führer“ gilt sonst nicht für einen Freund der jüdischen Literatur. Ist es da nicht erstaunlich, dass er sich so gern an das Alte Testament hält? Ich selber habe ihn mit viel Stimmaufwand zitieren hören: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (womit er wohl „Vermögenskonfiskation um literarische Kritik“ meinte). Und jetzt hat er auch Ihnen eine Verheissung des Alten Testaments wahrgemacht, den Spruch: „Du sollst in Häusern wohnen, die du nicht gebaut hast.“

Lassen Sie mein Haus nicht verkommen, Herr X. Es zu bauen und einzurichten, hat Frau Feuchtwanger und mir viel Mühe gemacht. Es zu bewirtschaften und zu erhalten, macht nicht viel Mühe. Pflegen Sie es, bitte, ein bisschen. Ich sage das auch in Ihrem Interesse. Ihr „Führer“ hat versprochen, dass seine Herrschaft tausend Jahre dauern wird: ich nehme also an, Sie werden bald in der Lage sein, sich mit mir über die Rückgabe des Hauses auseinanderzusetzen.

Mit vielen guten Wünschen für unser Haus

Lion Feuchtwanger.

P.S. – Finden Sie übrigens auch, dass meine These, Ihr Führer schreibe schlechtes Deutsch, dadurch widerlegt wird, dass Sie in meinem Haus sitzen?



Quelle: Lion Feuchtwanger, „Du sollst in Häusern wohnen, die du nicht gebaut hast“, Pariser Tageblatt 463, 20. März 1935; abgedruckt in Wer schweigt, wird schuldig! Offene Briefe von Martin Luther bis Ulrike Meinhof, herausgegeben und kommentiert von Rolf-Bernhard Essig und Reinhard M.G. Nickisch, Göttingen: Wallstein 2007, S. 153-56.

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