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Hedwig Dohm, „Das Stimmrecht der Frauen” (1876)

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Die Frauen, die das Stimmrecht nicht wollen, verzichten damit auf die höchsten Stufen menschlicher Entwicklung und erklären sich für eine untergeordnete Spezies der Gattung: Mensch. So mögen sie fortfahren zu leben von den Brosamen, die von ihrer Herren Tische fallen, sie mögen fortfahren, die Hand zu küssen, die sie züchtigt, und sich spiegeln und brüsten in den Orden und Ämtern ihrer Herren und Gebieter. Und wenn der Himmel ihrem Gatten einen neuen Titel beschert, so mögen sie wie bisher ihre Nasen und Gemüter hoch erheben und ihren Mitschwestern durch den Wonnelaut imponieren: auch ich bin Geheimrätin! Lakaiennaturen hat es gegeben und wird es geben allezeit.

[ . . . ]

Es gilt, Euch zu retten, Ihr Frauen, aus dem traurigen, dumpfen Einerlei, aus der Monotonie Eures vegetierenden Daseins. [ . . . ] Werft ab den konventionellen Charakter, den man Euch aufgezwungen und durchbrecht dieses Chinesentum, das bisher gleichbedeutend war mit Frauentum.

Erhebt Euch und fordert das Stimmrecht!

[ . . . ]

Erwachet, Deutschlands Frauen, wenn Ihr ein Herz habt, zu fühlen die Leiden Eurer Mitschwestern, und Tränen, sie zu beweinen, mögt Ihr selbst auch im Schoß Eures Glückes ruhen.

Erwachet, wenn Ihr Grimm genug habt, Eure Erniedrigung zu fühlen, und Verstand genug, um die Quellen Eures Elends zu erkennen.

Fordert das Stimmrecht, denn nur über das Stimmrecht geht der Weg zur Selbständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau. Ohne politische Rechte seid Ihr, Eure Seelen mögen von Mitleid, Güte und Edelsinn überfließen, den ungeheuersten Verbrechen gegenüber, die an Eurem Geschlecht begangen werden, machtlos.

Rafft Euch empor! Organisiert Euch!
Zeigt, daß Ihr einer begeisterten Hingebung fähig seid, und durch Eure Tat und Euer Wort erweckt die Gewissen der Menschen, erschüttert die Herzen und überzeugt die Geister!

Verlaßt Euch nicht auf die Hilfe der deutschen Männer! Wir haben wenig Freunde und Gesinnungsgenossen unter ihnen. [ . . . ]

Seid mutig, hilf Dir selbst, so wird Gott Dir helfen.
Gedenkt des kühnen Wortes des Amerikaners Emerson:

„Tue immer, was Du Dich zu tun scheust.“

Ihr armen Frauen und Opfer des Geschlechtsdespotismus, Ihr habt bis jetzt das Meer des Lebens befahren ohne Steuer und ohne Segel und darum habt Ihr selten das Ufer erreicht, und das Schiff Eures Glücks ist zumeist gescheitert an der Windstille oder im Sturm.

Lasset das Stimmrecht fortan Euer Steuer sein,
Eure eigne Kraft sei Euer Segel,
und dann vertraut Euch getrost dem Meere an, seinem Sturm und seinen Klippen, und über kurz oder lang werdet Ihr Land erblicken, das Land, das Ihr ‚mit der Seele suchtet‘ seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden, das Land, wo Frauen nicht den Männern, sondern sich selber gehören.

Als der Engländer Somerset einen Sklaven mit nach England brachte, erklärte, trotz der Vorurteile der Zeit, Lord Mansfield, der Sklave sei frei aus dem einfachen Grunde, weil in England kein Mensch ein Sklave sein könne.

So sind auch die Frauen frei,
weil in einem Staate freier Menschen es keine Unfreien geben kann.

Die Menschenrechte haben kein
Geschlecht.



Quelle: Hedwig Dohm, „Das Stimmrecht der Frauen“, in Hedwig Dohm, Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen. Berlin, 1876, S. 57ff, 159ff.

Abgedruckt in Margrit Twellmann, Die Deutsche Frauenbewegung im Spiegel repräsentativer Frauenzeitschriften. Ihre Anfänge und erste Entwicklung, 2 Bde., Bd. 2, Quellen 1843-1889. Meisenheim am Glan: A. Hain, 1972, S. 535-56.

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