GHDI logo

Bismarcks „Putbus Diktate” zur zukünftigen Verfassung Deutschlands (Oktober-November 1866)

Seite 2 von 3    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


II. „Unmaßgebliche Ansichten über Bundesverfassung“
[Memorandum Bismarcks (Putbus) 19. November 1866]



Die Zusammensetzung des Bundestages in der neuen deutschen Verfassung hängt wesentlich davon ab, ob dem Könige von Preußen eine Stellung als Oberhaupt des Reichs oder die eines primus inter pares den anderen Mitgliedern des Bundes gegenüber zufällt. Im erstern Falle könnte man daran denken, aus dem Könige von Preußen einen selbständigen Faktor der Bundesgesetzgebung analog dem Monarchen eines konstitutionellen Staates zu machen und einem ohne oder mit geringer Beteiligung Preußens zu bildenden Bundestage die Stellung einer ersten Kammer eines Staatenhauses beizulegen. Diese Herstellung eines monarchischen Bundesstaates oder Deutschen Kaiserreichs wird formell mehr Schwierigkeiten haben als die Durchführung des zweiten Systems, welches sich den hergebrachten Bundesbegriffen anschließt und deshalb leichter bei den Beteiligten Eingang findet, auch wenn es Preußen dieselbe dominierende Stellung sichert. Letzteres würde annähernd erreicht, wenn man Verteilung der Stimmen nicht an den engeren Rat, sondern an das Plenum der Bundesversammlung anknüpft. In letzterem würde Preußen, wenn ihm die Stimmen der jetzt annektierten Staaten zugelegt werden, 17 Stimmen haben, die übrigen Staaten des Norddeutschen Bundes, wenn Darmstadt für Oberhessen eine von seinen ursprünglichen drei Plenarstimmen behält, würden zusammen 26 Stimmen zu führen haben, gesamte Stimmzahl 43, absolute Majorität 22. Preußen würde also diese Majorität haben, sobald fünf der kleineren Stimmen ihm beitreten. Die Gefahr, daß die preußische Regierung in erheblichen Fragen sowohl im Reichstag als im Bundestage in die Minorität geriete, ist bei der Überzahl preußischer Abgeordneter im Reichstage nicht wahrscheinlich; doch könnte man noch den Riegel vorschieben, daß in allen militärischen Fragen die Zustimmung des Bundesfeldherrn und daß zu Verfassungsänderungen zwei Drittel der Stimmen erforderlich sind. Diese zwei Drittel sind nach obigem ohne Preußen nicht herzustellen. Dieses Verhältnis müßte bei etwaigem Zutritt der Süddeutschen durch Erhöhung der preußischen Stimmzahl auf 20 gewahrt werden.

Die Vorzüge dieses Systems bestehen in seiner Anlehnung an das Hergebrachte, dem sich die Regierungen als etwas Gewohntem und Selbstverständlichem leichter fügen werden als jeder neuen Kombination, die ebenso, wie es ursprünglich die Verteilung der Plenarstimmen war, den Charakter der Willkürlichkeit tragen müßte, wenn man nicht etwa auch im Bundestage die Stimmen nach der Bevölkerung verteilen wollte, wodurch die übrigen Regierungen neben Preußen vollständig mundtot gemacht würden.

Wenn man auf diese Weise ein Plenum von 43 Stimmen herstellt, so würde es den Regierungen überlassen bleiben, soviel Mitglieder der Versammlung zu ernennen, als sie Stimmen ausüben, ohne das Stimmrecht von der Anwesenheit der entsprechenden Anzahl Gesandter abhängig zu machen. Auf diese Weise würde Preußen 17 Vertreter ernennen können, aber, wenn auch nur einer derselben anwesend wäre, doch 17 Stimmen ausüben. Dadurch wäre die Gelegenheit gegeben, dem Bundestage neben den eigentlichen diplomatischen Vertretern die Kapazitäten zuzuführen, deren er in jedem speziellen Ressort seiner Gesetzgebung bedarf. So denke ich mir beispielsweise neben unserem bisherigen Bundestagsgesandten, der das Präsidium führen und vielleicht Mitglied des Staatsministeriums sein würde, Leute von der Kategorie wie Voigts-Rhetz, Jachmann, Delbrück, Dechend, Günther, Camphausen, einen höheren Post- und Telegraphenbeamten, auch ein hervorragendes Mitglied der aristokratischen, industriellen und Handelskreise und andere als preußische Mitglieder des Bundestags, welcher auf einer 43 Plätze fassenden Ministerbank seine Inhaber dem Reichstage gegenüberstellen würde. Ich glaube, daß so die Schwierigkeiten, dem Reichstag ein Ministerium gegenüberzustellen, bei dessen Ernennung die Konkurrenz der uns verbündeten Regierungen nicht ausgeschlossen werden kann, sich im Anschluß an die bestehenden Einrichtungen und die gewohnte Nomenklatur lösen lassen. Die preußischen Vertreter würden unter sich natürlich in ihren Votis stets übereinstimmen und die Ansichten der Regierung gemeinsam zu vertreten haben: Es würde aber nicht ausgeschlossen sein, daß die Minorität des Bundestages ihre von den amtlichen Vorlagen der Majorität abweichende Ansicht auch vor dem Reichstage öffentlich plaidierte. Es kann dies namentlich für Preußen unter Umständen Bedürfnis sein. Die ministerielle Solidarität kann natürlich für die Vertreter der verschiedenen Regierungen, deren jede den ihrigen nach Belieben abrufen kann, nicht bindend sein.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite