GHDI logo

Die deutsche Kronprinzessin Victoria kritisiert Bismarcks persönliches Regiment als diktatorisch (1887-89)

Seite 2 von 2    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Welch freudige Sache wäre es, wenn dieses Regiment der Allmacht Bismarcks nicht für immer dauerte, wenn andere Beweggründe und Ansichten und ein anderer Geist die deutsche Regierung erfüllten. B. ist sehr groß, ein genialer und mächtiger Mann, er tut sein Bestes und hat große Dinge für die Nation geleistet. Man muss gerecht und dankbar sein, aber so wie man nicht Trauben von Dornen und Feigen von Disteln pflücken kann, so kann man von ihm auch nicht das erwarten, was dem heutigen Deutschland fehlt und nach was es hungert, und das ist Frieden zwischen seinen Klassen, Rassen, Religionen und Parteien, gute und freundschaftliche Beziehungen mit seinen Nachbarstaaten, Freiheit und Respekt vor dem Gesetz statt vor der Gewalt und der Schutz der Schwachen vor der Unterjochung durch die Starken.

[ . . . ]

Prinz Bismarcks Tour ist immer die, die Deutschen glauben zu machen, dass sie angegriffen, ihnen Unrecht getan, sie beleidigt und ihre Interessen verraten würden, wenn er nicht da wäre, um sie zu schützen. Es gibt viele, die dumm und unwissend und kurzsichtig genug sind, um diesen ganzen Mist zu glauben, und die ihre Rechte und Freiheiten opfern würden, wenn nur Prinz Bismarck bleiben und sie beschützen würde!!! Vor was? Gegen was? Ich glaube wirklich nicht, dass sie es wissen!!

[ . . . ]

Manche meinen, wenn Bismarck einmal nicht mehr ist, würde diese Partei sich in alle Winde zerstreuen; denn da er keine Prinzipien hat, kann er auch nicht aufbauen. Diese Partei hat einen Führer, aber kein Programm. Sie werden ihm überallhin folgen und ergehen sich in ständiger Bewunderung, aber ohne feste Institutionen und Prinzipien kann eine Partei nicht zusammenhalten, wenn der Führer weg ist. Dennoch wird der Unfug nicht vorüber sein, wenn er verschwindet, da er jedes sittliche Empfinden bei den jungen Männern verdorben hat, die nach ihm kommen werden. Wo ist die Hand und wo der Verstand, um Bismarcks Stellung und Arbeit zu übernehmen in Richtung Ehrlichkeit und gemäßigt vernünftigem Fortschritt hin zur Entwicklung wahrer Freiheit? Ich sehe sie nicht.



Quelle: Frederick Ponsonby, Hg., Letters of the Empress Frederick. New York: Macmillan, 1930, S. 220, 246-47, 272, 332-33, 368.

Englischer Originaltext abgedruckt in Theodore S. Hamerow, Hg., The Age of Bismarck: Documents and Interpretations. New York: Harper & Row, 1973, S. 156-58.

Übersetzung: Erwin Fink

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite