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Der württembergische Demokrat Ludwig Pfau zum deutschen Föderalismus (1864/1895)

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Die Idee des Kaiserthums vom Orient nach Rom getragen und von dort über den Occident verbreitet, ist neben der Idee des Papstthums, ihrer würdigen Zwillingsschwester, das verderbenschwangere Vermächtnis der Rache, das Rom seinen germanischen Siegern hinterlassen hat. Wie das Papstthum – auf die Reinheit seines Prinzips zurückgeführt – der absolute Gegensatz der Vernunft und die Negation der geistigen Freiheit ist, so ist das Kaiserthum der absolute Gegensatz des Rechts und die Negation der politischen Freiheit. Die beiden hübschen Institutionen bedingen und halten sich gegenseitig: es ist das religiöse und politische Götzenthum, die universelle Knechtschaft, die Verneinung der sittlichen Würde, kurz! die Bekämpfung von Allem, was das zweibeinige Säugetier zum Menschen erhebt und aus der Materie den Geist erzeugt. Denn sowenig man mit dem blinden Glauben die Menschen moralisirt, so wenig moralisirt man sie mit dem blinden Gehorsam man unterdrückt damit im Gegenteil das eigentliche Wesen des Menschenthums: die auf der Vernunft beruhende freie Forschung, und das eigentliche Wesen der Sittlichkeit: den auf der Erkenntnis beruhenden freien Willen. Diese orientalische Despotenidee, die Menschheit unter der weltlichen Herrschaft des Kaisers so politisch zusammenzuketten, wie sie unter der geistlichen Herrschaft des Papstes religiös verbunden erschien, hat der Gewalt, ohne welche die Geschichte die staatliche Formation nicht vollziehen kann, einen Charakter absoluter, dem Naturgesetz der Familien- und Stammesbildung Hohn sprechender Tyrannei aufgedrückt.

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Centralisation und Gottesgnadenthum herrschen in Berlin so gut wie in Wien, und Seine Majestät Non possumus, der König und Herr, der seine Krone auf dem Altar findet und gegen Kammer und Volk so unfehlbar sich geberdet, wie sein Ministerium unverantwortlich, der ist im Grunde nichts als ein pseudoprotestantischer Papst und ein ukkermärkischer Zaar. In dem Augenblicke, wo Preußen eine militärische Großmacht bildete, gab es seine protestantische Mission auf, die, ihrem Wesen nach, von der freien Forschung und föderativen Gruppirung unzertrennlich ist. Allerdings übernahm es, nicht weniger als das alte Kaiserthum, eine historische Sendung, indem es an Stelle des zusammenstürzenden Reichsregiments ein neues Machtcentrum bildete; aber sogut die alten Kaiser verschwunden sind, nachdem der nationale Zweck ihres Daseins erfüllt war, sogut muß auch die reaktionäre Preußenherrschaft den Platz räumen, damit die civilisatorische Großmacht der Nation denselben einnehmen kann; denn in Beziehung auf die innere Entwicklung des deutschen Reichs ist die preußische Hegemonie um kein Haar besser als die römische Kaiserei.

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