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Bismarcks Reichstagsrede zum Gesetz über die Arbeiterunfallversicherung (15. März 1884)

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Der Herr Abgeordnete von Vollmar hat darüber seine Verwunderung ausgesprochen, [ . . . ] daß wir neue und andere Vorlagen machen. Ja, meine Herren, unsere Schuld ist das ja nicht. Der Herr Abgeordnete Bamberger hat gestern den Beruf der Regierung verglichen mit dem eines Schusters, welcher die Schuhe anmißt, die er danach beurtheilt, ob sie ihm passen oder nicht, und danach annimmt oder zurückschickt. Ich bin durchaus nicht unzufrieden mit diesem bescheidenen Vergleich, durch den Sie die verbündeten Regierungen auf den Standpunkt eines für Herrn Bamberger maßnehmenden Schuhmachers stellen. Der Beruf der Regierung im Sinne Friedrichs des Großen ist, dem Volke zu dienen, und sei es auch als Schuster; der Gegensatz ist, das Volk zu beherrschen. Wir wollen dem Volke dienen. Aber ich mache an Herrn Bamberger den Anspruch, daß er mein Mitschuster sei, um zu verhüten, daß jemand im Volke barfuß gehe, um dazu zu gelangen, daß dem Volke ein passender Schuh auf diesem brennenden Gebiet gemacht werde.

(Bravo!)

Das vermisse ich bisher.

Der Herr Abgeordnete von Vollmar ist dann übergegangen auf den Zusammenhang, in welchen er diese unsere Vorlage mit dem Sozialistengesetz bringt. Das ist so, wie er es auffaßt, nicht richtig, daß wir die Vorlage machten, um dadurch mehr Stimmung für das Sozialistengesetz zu gewinnen. Ein Zusammenhang ist ja da, aber er ist ein anderer. Bei Einbringung des Sozialistengesetzes hat die Regierung und namentlich Seine Majestät der Kaiser und, wenn ich nicht irre, auch der Reichstag in seiner Majorität gewisse Wechsel für die Zukunft unterzeichnet und Versprechungen gegeben dahin, daß als Korollär dieses Sozialistengesetzes die ernsthafte Bemühung für eine Besserung des Schicksals der Arbeiter Hand in Hand mit demselben gehen solle. Das ist meines Erachtens das Komplement für das Sozialistengesetz; und wenn Sie dauernd entschlossen sind, die Lage der Arbeiter nicht zu verbessern, dann begreife ich, daß Sie das Sozialistengesetz ablehnen. Denn es ist eine Ungerechtigkeit, auf der einen Seite die Selbstvertheidigung einer zahlreichen Klasse unserer Mitbürger zu verhindern und auf der anderen Seite ihnen nicht die Hand entgegenreichen zur Abhilfe desjenigen, was unzufrieden macht. Daß die Führer der Sozialdemokratie diesem Gesetz keinen Vortheil wünschen, das bebegreife ich; sie brauchen eben unzufriedene Arbeiter. Ihre Aufgabe ist es, zu führen, zu herrschen, und die nothwendige Vorbedingung dafür sind zahlreiche unzufriedene Klassen. Jedem Versuch der Regierung, diesem Zustand abzuhelfen, mag er noch so gut gemeint sein, müssen sie natürlich entgegentreten, wenn sie die Herrschaft über die von ihnen irregeleiteten Massen nicht verlieren wollen.

Also auf die Einwendungen, die von den Führern der Sozialdemokratie kommen, lege ich keinen Werth; auf die Einwendungen, die von Arbeitern im allgemeinen kommen, würde ich einen sehr hohen Werth legen. Unsere Arbeiter sind, Gott sei Dank, nicht alle Sozialdemokraten und sind nicht in dem Maße unempfänglich für die Bestrebungen der verbündeten Regierungen, ihnen zu helfen, vielleicht auch nicht für die Schwierigkeiten, denen diese Bestrebungen auf dem parlamentarischen Gebiete begegnen. Das Parlament hat ja das Recht, jeden Fortschritt in unserer Gesetzgebung zu hindern; Sie haben das unbedingte Veto in der Gesetzgebung, und durch unbeschränkte Ausübung dieses Vetos, sei es, indem Sie die Regierung prinzipiell, sei es, indem Sie sie nur angebrachtermaßen, aber in jedem einzelnen Falle regelmäßig abweisen, können Sie die Gesetzgebung natürlicherweise lahm legen. [ . . . ] Das parlamentarische Element, wenn es nur als Hemmschuh benutzt wird, wenn der Beweis dem Volke geliefert wird, daß es wohlwollenden Absichten der Regierung seine Mitwirkung versagt, daß es nur ein einfaches Nein hat, daß es keinen Versuch macht, der Regierung zu helfen, – das muß sich natürlich in hohem Maße abnützen und abschwächen, was ich für ein großes Unglück halten würde, denn ich weiß nicht, wie wir das ersetzen sollen. Ich bin in keiner Weise für eine absolutistische Regierung, ich halte eine richtig geübte parlamentarische Mitwirkung für ebenso nothwendig und nützlich, wie ich eine parlamentarische Herrschaft für schädlich und unmöglich halte.

(Bravo! rechts.)

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