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Erich Kempkas Augenzeugenbericht über die „Aktion Kolibri” am 30. Juni 1934 (Rückblick, 1954)

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Sobald ich meinen Wagen gewendet habe, damit er jederzeit abfahrbereit ist, stürze ich mit entsicherter Pistole ins Hotel hinein. In der Diele begegne ich dem Standartenführer Uhl, dem Führer der Stabswache Röhms. Mit gezogener Pistole führt ihn Hitlers Fahrer Schreck in die Waschküche hinab, die für die nächste Stunde das erste Gefängnis der verhafteten SA-Führer ist. Beim Vorbeigehen ruft mir Schreck noch zu: „Rasch! Lauf hinauf zum Chef! Er braucht Dich!"

Ich springe also die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo Hitler gerade aus dem Schlafzimmer Röhms tritt. Aus dem gegenüberliegenden Hotelzimmer kommen zwei Kriminalbeamte. Einer von ihnen erstattet Hitler Meldung: „Mein Führer [ . . . ] der Polizeipräsident von Breslau weigert sich, sich anzuziehen!"

Ohne mich zu beachten, tritt Hitler in das Zimmer, wo SA-Obergruppenführer Heines wohnt. Ich höre ihn schreien: „Heines, wenn Sie nicht in fünf Minuten angezogen sind, lasse ich Sie an Ort und Stelle erschießen!"

Ich trete ein paar Schritte zurück, und ein Polizeibeamter flüstert mir zu, daß Heines mit einem achtzehnjährigen SA-Obertruppführer im Bett gelegen habe. Endlich kommt Heines aus dem Zimmer, und vor ihm tänzelt ein achtzehnjähriger blonder Bengel.

„In die Waschküche mit ihnen!" befiehlt Schreck.

Inzwischen kommt Röhm in einem blauen Straßenanzug und mit der Zigarre im Mundwinkel aus seinem Zimmer heraus. Hitler blickt ihn verbissen an, sagt aber kein Wort. Zwei Kriminalbeamte bringen Röhm ins Vestibül des Hotels hinab, wo er sich in einen Lehnsessel wirft und beim Wirt Kaffee bestellt.

Ich stehe im Korridor ein wenig abseits, und ein Kriminalbeamter erzählt mir, wie Röhm verhaftet wurde.

Mit der Peitsche in der Hand betrat Hitler allein das Schlafzimmer Röhms, hinter sich zwei Kriminalbeamte mit entsicherter Pistole. Er stieß die Worte hervor: „Röhm, du bist verhaftet!" Verschlafen blickte Röhm aus den Kissen seines Bettes und stammelte: „Heil, mein Führer!" „Du bist verhaftet!", brüllte Hitler zum zweiten Male, wandte sich um und ging aus dem Zimmer. [ . . . ]

Oben auf dem Korridor geht es inzwischen recht lebhaft zu. Aus den Zimmern treten SA-Führer und werden festgenommen. Jeden von ihnen herrscht Hitler an: „Haben Sie etwas mit den Machenschaften Röhms zu tun?" Natürlich bejaht keiner die Frage, aber das nützt ihnen nichts. Meist weiß Hitler selbst Bescheid, hin und wieder wendet er sich mit einer Frage an Goebbels oder Lutze. Und dann kommt seine Entscheidung: „Verhaftet!"

Aber es gibt auch andere, die er frei läßt. Aus einem Zimmer tritt Röhms Leibarzt, der SA-Gruppenführer Ketterer, und zu unserer allgemeinen Überraschung befindet sich an seiner Seite seine Frau. Ich höre, wie Lutze bei Hitler ein gutes Wort für ihn einlegt, dann tritt Hitler auf ihn zu, begrüßt ihn, drückt die Hand seiner Frau und bittet sie, das Hotel zu verlassen, das an diesem Tag kein angenehmer Aufenthaltsort sei.

Wir folgen Hitler auf den Hof hinaus, und hier befiehlt er seinem Fahrer Schreck, er möge schleunigst einen Omnibus chartern, um die in der Waschküche sitzenden SA-Führer nach München zu bringen. Wie langsam vergehen doch die Minuten! Immer neue SA-Führer kommen von draußen an und werden in die Waschküche gebracht. Ich stehe im Hoteleingang und höre, wie Röhm beim Hotelier zum dritten Male Kaffee bestellt.

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