3. Herausforderung an die Politik
Wer das Reden von der Qualität des Lebens ernst meint, muß politische und gesellschaftliche Veränderungen wollen.
[ . . . ] Weder die üblichen Mittel der Marktwirtschaft noch die Methoden eines Staatskapitalismus werden für die neuen Aufgaben ausreichen. Anders gesagt: Was jetzt zu bewältigen ist, dürfte die Dogmatiker in Ost und West ebenso in Verlegenheit bringen wie diejenigen, die sich auf ihren Pragmatismus allzuviel zugute halten. Die Denkrevolution von der Ökonomie zur Ökologie wird keines der Gesellschaftssysteme ungeschoren lassen. Wahrscheinlich werden die Dogmatiker noch einige Zeit versuchen, das ganze Thema als einen besonders raffinierten Subversionsversuch gegen ihre etablierte Ordnung abzutun, ehe sie sich daran machen werden, es einzufangen und ideologisch zu integrieren. Ändern wird sich das Verhältnis von Wirtschaft und Politik, und zwar in Ost und West. Wo wirtschaftliches Wachstum unangefochtenes Ziel der Politik, ist, wird Politik vor allem das administrative Gerüst für das wirtschaftliche Wachstum zu liefern haben: Gute Politik ist, was das Wachstum fördert, schlechte, was das Wachstum hemmt. Immer wird der Politiker gefragt sein, was er zum wirtschaftlichen Wachstum beitrage.
Wo Qualität des Lebens gefragt ist, wird der Politiker, gedrängt von der öffentlichen Meinung, den Ökonomen und den Unternehmer fragen, was er – positiv oder negativ – dazu beitrage. Politik wird das Interesse des Gemeinwohls zu konkretisieren haben, an dem sich Wirtschaft und Administration in gleicher Weise orientieren können.
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Quelle: Erhard Eppler, Maßstäbe für eine humane Gesellschaft. Lebensstandard oder Lebensqualität? Stuttgart, 1974, S. 18-31; abgedruckt in Eckart Conze und Gabriele Metzler, Hg., 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Daten und Dokumente. Stuttgart, 1999, S. 223-25.