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Herbert Marcuse prangert den Vietnam-Krieg an (22. Mai 1966)

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Dieselben aggressiven Kräfte führen meiner Meinung nach von dem Tod auf den Highways und Straßen zu den Bombardierungen, Folterungen und Verbrennungen in Vietnam. Es gibt auf den Highways in den Vereinigten Staaten in einem Jahr 49 000 Tote und über 4 Millionen Verletzte. Vergleichen Sie das mit den Verlustziffern in Vietnam, und Sie werden vielleicht verstehen, daß dieser Krieg keine Massenreaktion hervorgerufen hat. Weiter erwähne ich als Ausdruck der Aggressivität die kommerzielle Vergewaltigung der Natur, den Einbruch in die Privatsphäre – der überall ‚gefangene Zuhörer’ schafft –, und eine ungeheure Brutalisierung der Sprache, an die die Menschen allmählich gewöhnt werden. Ich habe selbst während des Zweiten Weltkrieges und selbst in der Nazipresse eine solche offene Brutalität nicht gefunden, wie sie täglich in den amerikanischen Zeitungen sich breitmacht – in den Schlagzeilen, die sieghaft die Zahl der (angeblich oder wirklich) Getöteten und der gefundenen Leichen verkündet. Und von der Kriegführung und ihrer Sprache geht die Brutalisierung in die Sphäre der Unterhaltung des Amüsements ein.

Wir haben hier eine wirksame Akklimatisierung und Enthumanisierung, und diese wiederum führt zu einer Art Massenhysterie: Das Bild des Feindes wird aufgeblasen bis zur Unkenntlichkeit, und die Unempfindlichkeit, die Unfähigkeit zu unterscheiden zwischen Propaganda, Reklame und Wahrheit, wird immer deutlicher. Die Organe für diese Unterscheidung scheinen zu atrophieren. Man kann nicht einmal sagen, daß jeder glaubt, was ihm vorgesetzt wird, es ist vielmehr die Stimmung: Darüber kann ich nicht urteilen, die Regierung weiß das besser, und da kann man nichts dagegen machen.

Jetzt einige Worte über die Gegenkräfte, und zwar zum Unterschied von der Opposition ‚von oben’ nun die Opposition, die ein radikaleres Potential darstellt. Ich wiederhole: Auch die Opposition muß im globalen Maßstab gesehen werden, aber der Übersichtlichkeit halber werde ich diese Gegenkräfte in verschiedene aufgliedern, zunächst in den Vereinigten Staaten selbst.

Vier Gruppen lassen sich identifizieren:
1. Intellektuelle und Jugendliche.
2. ‚Unterprivilegierte’ Gruppen der Bevölkerung, z.B. Puertoricaner, Neger usw.
3. Eine religiös-radikale Bewegung, und
4. die Frauen.

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