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„Deutschlands Vereinigung” (1843)

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Blicken wir auf die Gewerbegesetze! Hier Bann und Zunftzwang, dort absolute Gewerbefreiheit, zwischen beiden ein Konzessionssystem! Der geschickteste Handwerker wird von der Zunft zurückgewiesen, bloß weil er unter einem andern Systeme sein Gewerbe erlernt hat, und der zünftige Geselle, der wandern soll, ist verlegen wohin, weil jeder deutsche Staat die Einwohner der anderen 37 Staaten als Auswärtige mit Mißtrauen behandelt. Sonst hieß es „deutsche Hand geht durch alle Land"; jetzt werden große Parteien (Frankreich, die Schweiz) in ängstlicher Sorge des geteilten Reiches ausgenommen. Von den Leiden des Handelsverkehrs will ich gar nicht reden — die machen sich selbst mit kräftiger Stimme bekannt; doch ist es ein Jammer zu sehen, wie die hier erstrebte wohltätige Vereinigung, bei dem Mangel eines geeigneten politischen Zentralpunktes, mit den Sonderinteressen einzelner Teile fortwährend zu kämpfen hat. Aber das muß man eben bedenken, daß sich ein einzelner Teil nicht leicht aus dem ganzen System herausreißen läßt, und jeder Staat mag allerdings wohl erwägen, wie er, teils mit seinen Finanzen, teils und besonders aber mit seinen Gewerbetreibenden zurechtkomme, solange nicht über das Ganze eine ordnende Hand waltet. Diese Sonderinteressen sind es hauptsächlich, die, indem sie der strebenden Kraft alles Terrain entziehen, den Pauperismus befördern, der mit seinem ganzen traurigen Gefolge von Immoralität Deutschlands Gaue immer stärker überzieht, und diese Zersplitterung Deutschlands ist es, welche die Abhilfe hindert. Warum haben wir nicht auswärtige Kolonien, in denen deutsche Art und Weise erhalten bleibt, Anstalten für Auswanderer, für die Unverbesserlichen Deportation? Auch die geistige Kultur leidet unter dieser Zersplitterung. Man hat dies am längsten leugnen wollen und vielmehr behauptet, daß die verschiedenen Höfe, Universitäten und wissenschaftlichen Anstalten ebensoviele Herde seien, von denen die Bildung, in kleineren Kreisen verbreitet, allgemein werde. Das enthält allerdings viel Wahres, und Deutschland hat namentlich gottlob die besten Volksschulen auf der ganzen Welt. Aber der eigentliche Grund davon liegt weit mehr im ganzen deutschen Charakter als in der politischen Zersplitterung. Es brauchte bei einer politischen Vereinigung keine einzige bestehende Anstalt für Kunst und Wissenschaft einzugehen, wohl aber würde die kleine Eifersüchtelei, daß Landeskinder vorzugsweise die Landesuniversität besuchen sollen, aufhören; wohl würde mit einem großen politischen Zentralpunkte sich auch ein großer literarischer Vereinigungspunkt bilden, der der deutschen Literatur ihre Einseitigkeit und Kleinstädterei nähme; wohl würde sich in der ganzen Nation ein Aufschwung bilden, der die deutsche Stubengelehrsamkeit hinausführte in das praktische Leben, der eine Blüte in Kunst und Wissenschaft hervorrufen würde, von der wir jetzt kaum eine Ahnung haben können.

Denkt man nun vollends noch an die Stellung, die das vereinigte Deutschland dem Auslande gegenüber annehmen würde, so scheint es unmöglich, daß sich irgend jemand gegen die allseitigen Vorteile der Vereinigung verstocken könnte, und man muß sich nur wundern, daß diese Einheit nicht längst zustande gekommen, daß sie jemals aufgehoben worden ist.

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