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Eine Generalversammlung deutscher Israeliten (1893)

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Allein es giebt für uns Israeliten außer den staatsbürgerlichen Rechten, deren Schmälerung die Bestrebungen einzelner Parteien bezwecken, noch andere Interessen, die uns lediglich als die Zugehörigen zu einer scharf ausgesprochenen Glaubensgenossenschaft betreffen. Für die Geltendmachung dieser Interessen müssen wir selber eintreten. Hier kann und soll kein Anderer für uns eintreten. Hier müssen wir selber auf uns stehen und offen vor das deutsche Volk hintreten und ihm sagen, was wir inmitten der deutschen Volksgemeinschaft sind und zu bedeuten haben, und was wir zu fordern gewillt und berechtigt sind. In öffentlicher Versammlung, in welche wir Israeliten unsere Vertrauensmänner hineinsenden, soll ausgesprochen werden, wie die Zustände innerhalb der israelitischen Glaubensgenossenschaft Deutschlands beschaffen sind. Aus derartigen, von kundigen und unbefangenen Männern gegebenen Darstellungen werden sich mit Nothwendigkeit allerhand Reformvorschläge ableiten lassen, deren Durchführung alsdann weiteren Generalversammlungen überlassen werden muß.

Unseres Dafürhaltens sollten die maßgebenden Männer unter den Israeliten Deutschlands nicht zögern, die zur Zusammenberufung einer solchen Generalversammlung erforderlichen Vorarbeiten in Angriff zu nehmen. Es ist hohe Zeit, daß etwas geschehe, daß die Gleichgiltigkeit oder die Resignation, welche sich bereits vieler Kreisen unserer Glaubensgenossenschaft bemächtigt haben, einer erfrischenden Thatenlust, einer befreienden Arbeit für die bedrohte Gesammtheit Platz machen. Wie die Dinge bei uns nun einmal liegen, sind sogar die von unserer Glaubensgemeinschaft abgefallenen Glieder an diesen unseren Kämpfen betheiligt, und es ist eitel Selbsttäuschung, dieses leugnen zu wollen.

Mögen unsere Worte einen lauten Widerhall finden in allen Herzen unserer deutschen Israeliten! Möge es uns beschieden sein, noch in diesem Jahre von den Verhandlungen der ersten Generalversammlung deutscher Israeliten Kunde zu erlangen. An geeigneten Männern, auf jener Generalversammlung ein gewichtiges Wort vernehmen zu lassen, fehlt es uns wahrlich nicht. Ist aber daran zu zweifeln, daß ernste, beherzigenswerthe Worte, von solch hervorragender Stelle verkündet, nicht auch willigen Eingang in die Herzen und Gemüther unserer Glaubensgenossen finden werden? Aber nicht blos auf die deutschen Israeliten, nein, auch auf das gesammte deutsche Volk wird eine derartige Kundgebung zweifellos ihre gute Einwirkung ausüben. Darum rufen wir nochmals unseren Männern in Israel zu: Tretet zusammen und verkündet allem Volke, was wir in Deutschland sind und was wir sein und bleiben wollen.



Quelle: Dr. J. Kastan, „Eine Generalversammlung deutscher Israeliten“, Allgemeine Zeitung des Judenthums. 31. März 1893, S. 148-49.

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