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Das Gründungsprogramm der Nationalliberalen Partei (12. Juni 1867)

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Wir hegen nicht die Hoffnung, den zahlreichen Bedürfnissen auf einmal abzuhelfen, aber wir werden keines derselben aus den Augen lassen und je nach der Gunst der Umstände das eine oder das andere in den Vordergrund stellen. Aber als die unerläßlichste Bedingung für das gedeihliche Zusammenwirken der Regierung und der Volksvertretung, für die Verhütung neuer Konflikte erachten wir zu allen Zeiten eine den Gesetzen entsprechende, Recht und Freiheit der einzelnen Staatskörper, wie der Gesamtheit unverbrüchlich achtende Verwaltung, Rückfällen in eine andere Praxis der Vergangenheit muß auf jede Gefahr hin rückhaltlos entgegengetreten werden. Nur mit einer gesetzestreuen Regierung können wir Hand in Hand gehen. Mit einer solchen sind wir die richtigen Wege aufzusuchen bereit.

Eine eindringliche Erfahrung hat uns gelehrt, daß nicht in allen Zeiten für dieselben Aufgaben mit denselben Waffen gekämpft werden darf. Wo so bedeutungsvolle und inhaltschwere Ziele gleichzeitig zu erstreben sind, wie gegenwärtig in Deutschland und Preußen, da genügt es nicht, lediglich an hergebrachten Sätzen festzuhalten und zugunsten einer einfachen und bequemen Tradition die neuen und mannigfaltigen Bedürfnisse unbeachtet zu lassen. Es bedarf der schweren und umsichtigen Arbeit, den verschiedenartigen Ansprüchen gerecht zu werden, den Gang der Ereignisse zu überwachen und der Gelegenheit den Vorteil abzugewinnen. Die Endziele des Liberalismus sind beständige, aber seine Forderungen und Wege sind nicht abgeschlossen vom Leben und erschöpfen sich nicht in festen Formeln. Sein innerstes Wesen besteht darin, die Zeichen der Zeit zu beachten und ihre Ansprüche zu befriedigen. Die Gegenwart spricht deutlich, daß in unserem Vaterlande jeder Schritt zur verfassungsmäßigen Einheit zugleich ein Fortschritt auf dem Gebiete der Freiheit ist oder den Antrieb hierzu in sich trägt.

Wir sind nicht gesonnen, anderen Fraktionen der liberalen Partei feindselig entgegenzutreten, denn wir fühlen uns eins mit ihnen im Dienste der Freiheit. Aber gegenüber den großen Fragen der Gegenwart und in dem verantwortlichen Bewußtsein, wieviel von der richtigen Wahl der Mittel abhängt, streben und hoffen wir, innerhalb der Partei die entwickelten Grundsätze zur Geltung zu bringen.



Quelle: National-Zeitung (Berlin), 13. Juni 1867, S. 1.

Aus: W. Cahn, Aus Eduard Laskers Nachlaß (1902), Bd. 1, S. 158-63; abgedruckt in Felix Salomon, Hg., Die deutschen Parteiprogramme, Heft 1, Vom Erwachen des politischen Lebens in Deutschland bis zur Reichsgründung 1871, Hg. Wilhelm Mommsen und Günther Franz, 4. Auflage, Leipzig und Berlin: B.G. Teubner, 1932, S. 155-59.

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