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August Bebels Rede im Norddeutschen Reichstag gegen den Deutsch-Französischen Krieg und die Annexion von Elsass-Lothringen (26. November 1870)

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ist meiner Ansicht nach ein durchaus reaktionäres Prinzip; wollen wir das Nationalitätsprinzip in Europa wirklich unverfälscht zur Geltung bringen, dann werden Sie zugeben, wäre des Krieges kein Ende abzusehen, dann wäre der Beruf der Völker nur, immer Krieg zu führen, zu arbeiten, nur, um den Krieg möglich zu machen. Auf Grund des Nationalitätsprinzips wäre es notwendig, daß wir Polen abtreten, daß wir Nordschleswig wieder abgeben, daß wir Südtirol und Trient abstoßen, es wäre notwendig, daß wir soundso viele slawisch sprechende Länderteile preisgeben, daß wir dagegen Stücke der Schweiz, Hollands und Belgiens annektierten. Mit dem Nationalitätsprinzip also, wie gesagt, würden wir aus dem Kriege nicht herauskommen. Es würden die Völker sich gegenseitig zerfleischen bis an das Ende aller Dinge. Die Nationalität hat nur wenig zu bedeuten, sie hat nur einen untergeordneten Wert in meinen Augen für das politische Staatsleben. Das höchste, die Grundidee des politischen Staatslebens, muß die innere Befriedigung der Völker über ihre Einrichtungen, muß ihr Selbstbestimmungsrecht sein. Zwei Staaten in der Welt beweisen das auf das sonnenklarste, das ist die Schweiz und Amerika. Sie finden in der Schweiz Italiener, Franzosen und Deutsche ruhig nebeneinander leben, nirgends verlangen sie Italiener, Franzosen oder Deutsche zu werden. Sie finden drüben in der großen Republik über dem Ozean dasselbe Verhältnis; Engländer, Franzosen und Deutsche zu Millionen leben ruhig und friedlich nebeneinander und vertragen sich. (Ruf rechts: Sonderbundskrieg!)

Dieser Krieg war kein nationaler Krieg, sondern ein Krieg der Freiheit gegen die Unfreiheit und war ja gerade gegen Ihre Partei gerichtet, eine Notwendigkeit. (Rufe: Schluß!)

Präsident: Ich mache Sie noch einmal auf die Notwendigkeit der Selbstbegrenzung in Ihrem Vortrage aufmerksam.

Abgeordneter Bebel: Ich glaube allerdings, Herr Präsident, daß ich diese Selbstbegrenzung noch nicht überschritten habe.

Meine Herren, meines Erachtens also wird es Deutschland keineswegs Nutzen und Vorteil bringen, diese Annexion von Elsaß und Lothringen zu vollziehen. Es wird auf der andern Seite aber sehr viel dazu beitragen, die Feindseligkeit zwischen zwei der edelsten Nationen zu verlängern; denn, daß die französische Nation ebensogut eine edle Nation ist wie die deutsche, das bestätigt wiederum ja auch die letzte Thronrede, obgleich, meine Herren, die offizielle Presse, nachdem sie im Anfange des Krieges in der wütendsten Weise gegen den Erzschelm und den größten Verbrecher auf den europäischen Thronen, gegen Louis Bonaparte, mit aller Macht losgezogen war, nach wenigen Wochen, nachdem er gestürzt war, ihn in Schutz nahm und es versuchte, die Selbstverantwortlichkeit der Nation darzutun und natürlich die ganze Jauche ihres Zorns auf das französische Volk ausschüttete. Ein schlechteres, ein demoralisierteres, ein korrumpierteres Volk als das französische könnte es

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