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2. Regierung
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1. Augenzeugen und Familien   |   2. Regierung   |   3. Reformation   |   4. Konfessionen


A. Heiliges Römisches Reich

Das frühneuzeitliche Reich übernahm ein doppeltes Erbe aus dem Hochmittelalter: die kaiserliche Monarchie und die deutsche Feudalordnung. Das Schwinden von Bevölkerung und Wirtschaft im 14. Jahrhundert schwächten jedoch die großen Autoritätsstrukturen – Reich und Kirche – zum Vorteil dessen, was als „verstreute Souveränität“ bezeichnet werden könnte. Die Phase der Erholung um 1500 beförderte wiederum ein Erstarken der königlichen Autorität gemeinsam mit starken dynastischen Fürstentümern, autonomen Stadtstaaten, sowie einem hohen Grad an kommunaler Selbstverwaltung in den Dörfern vielerorts. Das Kaisertum war nicht erblich, sondern ein Wahlkaisertum. Bei Tod des Kaisers traten die Kurfürsten zusammen, um einen Nachfolger auszuwählen, und der Gewählte wurde zum König gekrönt (und nannte sich „römischer König“) und zum Wahlkaiser ernannt. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts wurde er erst nach der Krönung durch den Papst Kaiser.

Der größte Schwachpunkt der Monarchie lag in der Unsicherheit der Thronfolge, daher erließ Kaiser Karl IV. (reg. 1346-78) 1356 die Goldene Bulle, um diesen Missstand zu beheben. Sie legte die Anzahl, Pflichten und Rechte der sieben Kurfürsten fest, darunter vier weltliche Fürsten (Böhmen, Pfalz, Sachsen und Brandenburg) und drei geistliche (Mainz, Köln und Trier). Die kurfürstlichen Lehensgüter wurden als unteilbar erklärt und die kurfürstliche Pflicht und Prozedur gesetzlich festgeschrieben. Als der Reichstag im darauf folgenden Jahrhundert begann, die Form eines Parlaments anzunehmen, bildeten die Kurfürsten das oberste Kollegium, während die Fürsten (etwa fünfzig Bischöfe und ein Dutzend Dynastien) das zweite Kollegium bildeten und die ca. fünfzig Reichsstädte das dritte und niedrigste.

Die Goldene Bulle beendete weder die Streitigkeiten um die Thronfolge unmittelbar noch hielt sie die Zerstreuung der Macht auf. Das zentrale Problem der Monarchie war ihre Geldnot. Da die königliche Domäne nicht länger existierte, hing die tatsächliche Macht des Königs von seinem Erbbesitz eines dynastischen Fürstentums ab. Die vielversprechende Herrschaft Kaiser Friedrichs III. (reg. 1440-93), die mit einer Rundreise durch zahlreiche Länder des Reiches begann, mündete in dessen Rückzug in die unruhigen österreichischen Länder. Das Wiedererstarken des Kaisertums begann nach der Wahl und Königskrönung seines Sohnes, Maximilian I. (reg. 1486/93-1519). Zu diesem Anlass stellte das Reich Symbole und Rituale zur Schau, wie sie seit Generationen nicht gesehen worden waren. Maximilian war ein bewusster Erneuerer des Kaisertums, der verstand, dass die Machtausübung die Einheitlichkeit von Bild, Wort und Tat verlangte. Er verstand seine Dynastie als sein Schicksal und sah sich selbst als wahren Erben Friedrichs II., Ottos des Großen und Karls des Großen.

Die symbolische Wiederbelebung der Monarchie fiel mit einer Reform der Reichsregierung unter Maximilian und dessen Erben Karl V. (reg. 1519-56) zusammen, welche die Position und Einschränkungen des Herrscheramtes festlegte und für die nächsten drei Jahrhunderte fest in der Hand der Habsburger behielt. Die wesentlichen Bestimmungen der Reichsreform nahmen auf den Reichstagen zwischen 1495 und 1521 Gestalt an. Sie nahmen ihren Anfang mit dem großen Reichstag in Worms 1495. Jede dieser durchgeführten oder zumindest in Worms diskutierten Reformen zielte darauf ab, die Reichsregierung (wenngleich nicht unbedingt die kaiserliche) zu stärken: ein Landfrieden, Abschaffung der Fehde, sowie eine Regelung zur polizeilichen Überwachung des Reiches (Reichskreise); ein neues System direkter Besteuerung, ein Reichskammergericht und ein Reichsrat, der sich aus dem König und den führenden Reichsständen zusammensetzte. Die Reformen wurden nicht durch den König diktiert, sondern mit dem Reichstag verhandelt, und hinter ihnen stand nicht Maximilian, sondern der Erzbischof von Mainz und seine Partei der Stände. Die Formel dieses neuen Regimes, „Kaiser und Reich“, drückte den dualen Charakter der höchsten Gewalt im Reich aus.


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