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11. Wissenschaft und Bildung
Druckfassung

1. Staat und Regierung   |   1.A. Staatenbund oder Nationalstaat?   |   1.B. Autoritäre Herrschaft oder Verfassungsstaat?   |   1.C. Emanzipation der Juden   |   2. Parteien und Organisationen   |   3. Militär und Krieg   |   4. Wirtschaft und Arbeit   |   5. Natur und Umwelt   |   6. Geschlecht, Familie, und Generationen   |   7. Regionen, Städte, Landschaften   |   8. Religion   |   9. Literatur, Kunst, Musik   |   10. Die Kultur der Eliten und des Volkes   |   11. Wissenschaft und Bildung

Die idealistische Vorstellung von der Einheit des Wissens wurde jedoch nicht nur von deutschen Naturwissenschaftlern, sondern auch von Geisteswissenschaftlern in Frage gestellt. Der Historiker Leopold von Ranke (1795-1886) verwahrte sich entschieden gegen Hegels Auffassung, die Menschheitsgeschichte entwickelte sich und schreite voran gemäß philosophischer Konzepte. Wie aus seiner hier in Auszügen wiedergegebenen Einleitung zum 1825 erschienenen Werk Die Geschichte der romanischen und germanischen Völker, seinen Aufzeichnungen aus den 1830er Jahren zu Geschichte und Philosophie und seinen Vorlesungen zur Weltgeschichte von 1854 hervorgeht, betonte Ranke, historische Ereignisse könne man nur auf der Grundlage eines intensiven und kritischen Studiums veröffentlichter und unveröffentlichter Quellen genau verstehen. Er bestritt nicht, dass sich aus dem Studium der Geschichte auch allgemeine Gesichtspunkte ergeben könnten, war jedoch der Auffassung, dass diese aus der empirischen Analyse des Historikers und nicht aus philosophischen Vorannahmen hervorgingen. Ebenso skeptisch war Ranke gegenüber jeglicher Vorstellung von der Geschichte als einem begrifflichen oder andersartigen Fortschritt.

Während die Gelehrten über die Bedeutung fortgeschrittener Formen des Wissens stritten, war eine ganz andere Kontroverse im Gange, die die Schulbildung betraf. Als Repräsentant der einen Richtung in dieser Debatte ist Friedrich August Ludwig von der Marwitz (1777-1837) anzusehen, adeliger Gutsherr in der Provinz Brandenburg im Königreich Preußen und Paradebeispiel eines Reaktionärs des 19. Jahrhunderts. Als die preußische Regierung im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts daran ging, die Erbuntertänigkeit abzuschaffen, setzte sich Marwitz derart entschieden zur Wehr, dass ihn der verärgerte preußische Kanzler von Hardenberg in Festungshaft nehmen ließ. In seinem 1836 entstandenen Memorandum über Kriminalität und moralischen Verfall formulierte Marwitz – in bisweilen übertriebener Form – für Konservative des 19. Jahrhunderts typische Überzeugungen von der Elementarbildung, die die Unterschichten in öffentlichen Schulen erhalten sollte. Sie sollte Marwitz zufolge in erster Linie darin bestehen, den Kindern aus den einfachen Bevölkerungsschichten die Grundlagen von Religion und Moral zu vermitteln. Weitere Bildung, sei es im Lesen, Schreiben und Rechnen oder in noch anspruchsvolleren Fächern, würde die einfache Bevölkerung moralisch und ökonomisch zugrunde richten.

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