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6. Geschlecht, Familie, und Generationen
Druckfassung

1. Staat und Regierung   |   1.A. Staatenbund oder Nationalstaat?   |   1.B. Autoritäre Herrschaft oder Verfassungsstaat?   |   1.C. Emanzipation der Juden   |   2. Parteien und Organisationen   |   3. Militär und Krieg   |   4. Wirtschaft und Arbeit   |   5. Natur und Umwelt   |   6. Geschlecht, Familie, und Generationen   |   7. Regionen, Städte, Landschaften   |   8. Religion   |   9. Literatur, Kunst, Musik   |   10. Die Kultur der Eliten und des Volkes   |   11. Wissenschaft und Bildung

In Wien waren die Frauen während der Revolution von 1848 besonders aktiv. Die hier präsentierten Dokumente bestehen aus den Statuten des in Wien gegründeten Demokratischen Frauenvereins, einer knappen Rückschau von 1850 auf seine Aktivitäten sowie der Petition, die der Verein der österreichischen verfassungsgebenden Versammlung zukommen ließ. Nur Frauen konnten als aktive und stimmberechtigte Mitglieder des Vereins aufgenommen werden; verheiratete und unverheiratete Frauen hatten die gleichen Rechte. Die Statuten standen in einer gewissen Spannung zu den Geschlechteridealen, wie sie in den Artikeln des Staats-Lexikons zum Ausdruck kamen. Die Aktivitäten des Vereins spielten sich im allgemeinen jedoch im Rahmen dessen ab, was als schicklich für Frauen erachtet wurde.

Politisches Engagement von Frauen in Deutschland wurde nach der gescheiterten Revolution von 1848 unterdrückt und lebte erst in den 1860er Jahren wieder auf. 1865 wurde die erste Frauenvereinigung auf nationaler Ebene gegründet, der Allgemeine Deutsche Frauenverein. Seine Statuten sowie der Bericht der Vorsitzenden Louise Otto von 1869 zeigen, dass die Aktivitäten des Vereins vor allem der Verbesserung der Bildungs- und Erwerbschancen von Frauen galten. Die Vorstellung, Frauen sollten erwerbstätig sein, insbesondere Frauen aus der gebildeten Mittelschicht, stellte einen Angriff auf die Geschlechterprinzipien des Staats-Lexikons dar, denen zufolge sich die Tätigkeit von Frauen auf Heim und Familie beschränken sollte.

1866 wurde in Berlin der Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts, gegründet, der „Lette-Verein“, wie man ihn gemeinhin bezeichnete. Wie der anlässlich des 25jährigen Bestehens des Vereins 1890 verfasste Rückblick zeigt, war er weder eine feministische noch eine oppositionelle Organisation. Ihr Gründer, Professor Lette, war ein Mann und Mitglied im sozialreformerischen Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen. Sein Verein wurde von Angehörigen der preußischen königlichen Familie unterstützt und finanziell gefördert. Dennoch war das Ziel des Vereins – Bildungs- und Ausbildungsangebote für junge Frauen aus der Mittelschicht, damit diese ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten, ohne heiraten zu müssen – auch ein Schritt weg von den vorherrschenden Geschlechtervorstellungen der Zeit.

All diese Formen weiblichen Engagements waren weit davon entfernt, allgemeine Zustimmung und Unterstützung zu finden. Besonders politisch Konservative wandten sich gegen die Vorstellung, dass Frauen überhaupt eine Rolle im öffentlichen Leben spielen sollten. Der Volkskundler und konservative Journalist Wilhelm Heinrich Riehl greift in dem hier vorgestellten Quellenauszug die gängigen Vorstellungen von den Unterschieden zwischen Männern und Frauen auf und benutzt sie, um nicht nur „emanzipierte“ Frauen wie die Autorin Louise Aston, sondern jegliche Form des Engagements von Frauen außerhalb des eigenen Heims anzugreifen.

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