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1.A. Staatenbund oder Nationalstaat?
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1. Staat und Regierung   |   1.A. Staatenbund oder Nationalstaat?   |   1.B. Autoritäre Herrschaft oder Verfassungsstaat?   |   1.C. Emanzipation der Juden   |   2. Parteien und Organisationen   |   3. Militär und Krieg   |   4. Wirtschaft und Arbeit   |   5. Natur und Umwelt   |   6. Geschlecht, Familie, und Generationen   |   7. Regionen, Städte, Landschaften   |   8. Religion   |   9. Literatur, Kunst, Musik   |   10. Die Kultur der Eliten und des Volkes   |   11. Wissenschaft und Bildung

Auch der Journalist und politische Aktivist Johann August Wirth (1789-1848) war ein Verfechter eines vereinigten deutschen Nationalstaates. In seiner Rede vom Mai 1832 vor den 30.000 Teilnehmern des Hambacher Festes, einer oppositionellen politischen Massenkundgebung, rief er, wie Arndt in seinem Gedicht, zur Gründung eines deutschen Nationalstaates auf und klagte die deutschen Fürsten und ihren Bund an. Während aber Arndts deutscher Nationalismus auf nationalen Feindbildern aufbaute, entwarf Wirth einen deutschen Nationalismus, der sich im Verbund mit anderen Nationalbewegungen gegen autoritäre Herrschaft in ganz Europa wenden sollte.

Wie die beiden vorangegangenen Quellen kritisiert der Artikel „Deutschlands Vereinigung“ aus der Düsseldorfer Zeitung vom 3. September 1843 den bestehenden Deutschen Bund. Sein Aufruf zur Schaffung eines vereinigten deutschen Nationalstaates stellt jedoch andere, eher wirtschaftliche Gesichtspunkte in den Vordergrund, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts für die Nationalbewegung zunehmend wichtiger werden sollten.

Die ersten konkreten Versuche zur Schaffung eines deutschen Nationalstaates – im Unterschied zum Verfassen von Gedichten darüber – fielen in die Jahre der Revolution von 1848/49. Ein entscheidendes Problem, das bei diesen Versuchen auftauchte und ihr Scheitern mitverursachte, war die Frage, ob ein deutscher Nationalstaat die deutschsprachigen Einwohner des österreichischen Kaiserreiches einschließen sollte. Wie sich aus den drei vorhergehenden Textquellen ersehen lässt, war diese Bevölkerungsgruppe schon immer als zu Deutschland gehörig angesehen worden; die in Österreich regierende Dynastie der Habsburger hatte dem alten Heiligen Römischen Reich vorgestanden und präsidierte jetzt über den Deutschen Bund. Ungefähr 80 Prozent der Habsburger Untertanen waren allerdings nicht Deutsche, sondern Ungarn, Polen, Italiener, Rumänen und Angehörige verschiedener slawischer Nationalitäten. Hätte das gesamte österreichische Kaiserreich Teil des deutschen Herrschaftsgebiets werden sollen, wäre dies kein deutscher Nationalstaat mehr gewesen; hätten nur die deutschen Bevölkerungsteile des österreichischen Kaiserreiches einem vereinigten Deutschland angehören sollen, hätte dies das Ende des Habsburgerreiches bedeutet.

Eine Lösung, die erstmals im Jahre 1849 versucht wurde, war die „kleindeutsche“, die Schaffung eines vereinigten deutschen Nationalstaates unter Ausschluss der Deutschen des Habsburgerreiches. Durch den Ausschluss Österreichs wäre ein solches „Kleindeutschland“ von der anderen mitteleuropäischen Großmacht, dem Königreich Preußen, beherrscht worden. Der 1859 gegründete Deutsche Nationalverein drängte auf eine solche kleindeutsche Lösung. Sowohl seine Gründungsurkunde, die Eisenacher Erklärung vom August 1859, als auch seine Erklärung zu einer deutschen Verfassung vom September 1860, gingen von der Annahme aus, ein kleindeutscher Nationalstaat sei nur möglich, wenn eine liberale Reformregierung an der Spitze Preußens stehe.

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