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6. Erfolg im Westen – Scheitern im Osten
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Überblick   |   1. Die Vertiefung der Teilung   |   2. Der Konflikt zwischen Demokratie und Dikatur   |   3. Probleme der sozialen Marktwirtschaft   |   4. Umgang mit sozialen Konflikten   |   5. Verunsicherungen der Moderne   |   6. Erfolg im Westen – Scheitern im Osten

Konfrontiert mit unvorhergesehenem sozialem Wandel, erwies sich die pluralistische Gesellschaft des Westens anpassungsfähiger als das streng kontrollierte SED-System im Osten. Obwohl die ältere Generation auf beiden Seiten der Grenze von der grellen amerikanischen Populärkultur geschockt war, konnten sich westliche Eliten schließlich dazu durchringen, Rockmusik und Hollywood-Filme zu tolerieren, während die Sittenrichter im Osten mit Repression reagierten und dadurch die Wahl des Lebensstils politisierten (32). Unabhängig von ihrer Ideologie lehnten patriarchalisch denkende Männer die Versuche der Frauen, gleiche Rechte zu erlangen, ab. Im Westen aber gelang es den Frauenrechtlerinnen, sich zu organisieren, während im Osten die Unterstützung angeblich wohlmeinender Männer darauf abzielte, den politischen Einfluß von Frauen zu kontrollieren und zu lenken. In beiden Staaten waren Manager und Arbeiter nicht gerade begeistert von der Kritik der Umweltschützer, aber in der Bundesrepublik schützten die Gerichte die Demonstranten vor polizeilicher Brutalität, während sie in der DDR kriminalisiert wurden. Ebenso hielten die meisten Politiker und Soldaten die Friedensbewegung für zu idealistisch, aber im Westen konnten die Pazifisten öffentlich demonstrieren, während sie im Osten unterdrückt wurden (33).

Trotz ihrer Kommerzialisierung brachte die verwestlichte Kultur der Bundesrepublik letztlich eine attraktivere, moderne Variante von deutscher Identität hervor als die sowjetisierte, ihre Bürger bevormundende Diktatur der DDR. Auf lange Sicht gesehen, stellte sich die Selbstbefragung im Westen, die durch Kritik an der unzureichenden Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit in Gang gesetzt worden war, als folgenreicher für die Einhaltung der Menschenrechte heraus als der von oben befohlene Antifaschismus im Osten. Obwohl in der Bundesrepublik die Offenheit gegenüber internationalen Einflüssen deutsche Merkmale manchmal zu überdecken drohte, erlaubte es gerade die Aufnahmebereitschaft für amerikanische, britische und französische Ideen und Stilrichtungen, mit der Tradition der deutschen Andersartigkeit zu brechen und sich kulturell im Westen zu verankern. Im Gegensatz dazu blieb der marxistische Internationalismus, den die Sowjetunion propagierte, nur an der Oberfläche haften und war nicht imstande, das Gefühl deutscher Überlegenheit im Ostblock zu beseitigen. Die langfristigen Lernprozesse, die die Greuel des Dritten Reiches und des zweiten Weltkriegs ausgelöst hatten, führten im Westen zur Wiederherstellung einer lebendigen Zivilgesellschaft, die in vorteilhaftem Kontrast zu dem repressiven Charakter des sozialistischen Experiments im Osten stand (34).


Konrad H. Jarausch und Helga A. Welsh
Übersetzung: Katharina Böhmer



(32) Dorothee Wierling, Geboren im Jahr Eins. Der Jahrgang 1949 in der DDR. Versuch einer Kollektivbiographie (Berlin, 2002); Uta G. Poiger, "Rock 'n' Roll, Female Sexuality, and the Cold War Battle over German Identities," Journal of Modern History 68 (1996), S. 577-616.
(33) Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik; Wolle, Heile Welt der Diktatur.
(34) Konrad H. Jarausch, Die Umkehr. Deutsche Wandlungen (München, 2004).

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